CHRISTL MTH. über Wut und Zerbrechlichkeit

CHRISTL MTH. - Geschrieben wie das Christkind, ausgesprochen wie die Droge.

5 Min.

© Marlene Brandstötter

Sie ist Musikerin, Autorin und Künstlerin. In ihrem Fokus stehen Geschichten, Emotionen und Ungerechtigkeit. Und damit schafft sie Räume, in denen Wut und Liebe, Zerbrechlichkeit und Stärke gleichermaßen berechtigt sind.

Farben, Formen und Wörter geben ihr die Möglichkeit, sich selbst und andere zu demaskieren und kompromisslos die Kunst zu schaffen, mit der sie ihre Umwelt zu analysieren, kritisieren und manchmal auch zu romantisieren vermag. Mit dem Release ihrer Single „Object Of Desire“, in der sie ihre eigenen Erfahrungen mit sexueller Belästigung Ausdruck verleiht, hat sie mit einer aktivistischen Kunstaktion gegen sexuelle Belästigung nicht nur auf den Straßen Wiens, sondern zugleich auch in den Medien für Aufregung gesorgt. Im Jahr 2022 tourte CHRISTL durch Österreich, spielte auf Festivals und eröffnete die Show für Tocotronic in der Arena Wien. Ihr erstes Buch „Ich glaub ich hasse mich“ erschien im September 2023 und parallel dazu arbeitet sie an ihrem ersten Album, das Anfang 2024 erscheinen soll. Wir haben CHRISTL getroffen und mit ihr über Feminismus, ihre künstlerische Herangehensweise und ihr erstes Buch gesprochen. 

CHRISTL, Sie werden als transmediale Künstlerin beschrieben, die sich nicht einrahmen lässt. Wie würden Sie Ihre künstlerische Vielseitigkeit und Herangehensweise beschreiben?

Ich möchte mit den Medien, die mir zur Verfügung stehen, kreativ umgehen und mich nicht auf eine Form der Kunst festlegen. Und genau dieses Nicht-Festlegen auch zum Kern meiner Arbeit machen. Dass ich Literatur schreiben kann, dass ich bildnerisch arbeiten kann,  aber auch Musik mache – und diese ganzen unterschiedlichen Parts immer zu einem verbinden kann. Kunst ist für mich Freiheit, und darum geht’s mir auch in meiner Arbeit. 

In Ihrem Werk kombinieren Sie experimentelle Soundscapes, melancholische Songs und eine starke, manchmal fragile Stimme. Welche Emotionen versuchen Sie mit Ihrer Musik zu vermitteln?

In meiner Musik und in meinem Buch geht es ganz stark darum, Wut etablieren zu können, aber auch Zerbrechlichkeit, und diese Ambivalenzen zu zeigen. Diese beiden Emotionen gegenüberzustellen finde ich interessant. Denn beides bedingt einander. 

So viele Frauen trauen sich nicht,
nachts alleine heimzugehen oder nachts Öffis zu fahren, und nehmen sich deswegen oft lieber ein Taxi – und selbst da erleben sie übergriffige Taxifahrer. Darüber
muss gesprochen werden!

CHRISTL MTH.

In Ihrer Single „Object of Desire“ setzen Sie sich mit sexueller Belästigung auseinander und führten auch eine aktivistische Kunstaktion durch. Können Sie mir darüber ein bisschen mehr erzählen, was Sie mit dieser Aktion erreichen wollten?

In meiner feministischen Auseinandersetzung geht es darum, dass es ganz viele Themen gibt, die man nicht bespricht, die aber trotzdem (oder genau deswegen) existent sind im täglichen Leben. Ich habe schon sehr oft sexuelle Belästigung und ähnliche Dinge erlebt, die irgendwie unsichtbar sind, aber die sichtbar sein sollten. Ich habe damals eine Kooperation mit „Catcalls of Vienna“ gemacht. Das ist eine Initiative in Wien, die sich gegen sexuelle Belästigung einsetzt. Man kann sich auf Instagram an die Organisation wenden und seine Erfahrungen schildern. Aktivistinnen von „Catcalls of Vienna“ gehen dann an die Orte, an denen sexuelle Belästigungen passieren, zum Beispiel auf der Straße, bei Bushaltestellen, Impfstationen und so weiter, und schreiben das dann mit Kreide auf die Straße. Sexuelle Belästigung ist so alltäglich und aufgrund dessen so „normal“, dass sie im öffentlichen Diskurs untergeht. So viele Frauen trauen sich nicht, nachts alleine heimzugehen oder nachts Öffis zu fahren, und nehmen sich deswegen oft lieber ein Taxi – und selbst da erleben sie übergriffige Taxifahrer. Darüber muss gesprochen werden!

Neben Ihrer Musik haben Sie jetzt auch Ihr erstes Buch geschrieben: „Ich glaub ich hasse mich“ erschien im September. Worum geht‘s?

In meinem Buch geht es ganz viel um verschiedene Perspektiven, die ich über meine erlebte Gewalt eingenommen habe. Es geht um den Wunsch, diese Dinge irgendwann loslassen zu können und wieder zu einer Leichtigkeit zu kommen. Es ist ein Lyrikband, den ich selbst illustriert habe. Das Buch ist in dem Schreibprozess von meinem Album entstanden. Ich wollte meine Gedanken irgendwie strukturieren und habe dann einfach angefangen zu schreiben – und zwar überraschenderweise auf Deutsch. Meine Songs schreibe ich auf Englisch, und deshalb hat mich das selbst überrascht (lacht). 

© Hilde van Mas

Ihr erster Albumrelease ist für Anfang 2024 geplant. Wie wird sich dieses Album von Ihrer bisherigen Musik unterscheiden?

Es wird ganz klar ein neues Kapitel. Wenn man sich mit sich selbst wirklich auseinandersetzt, gibt das irgendwie vor, dass sich die Musik auch ständig ändert. Das Buch hat das Album inspiriert und umgekehrt. Malereien haben Texte und Songs inspiriert. Das ist für mich ein Kreislauf, der irgendwie nie endet. Ich bin eine sehr sensible Person und nehme Gefühle von anderen und meine eigenen sehr stark und sehr bewusst war. Das ist, glaube ich, die Hauptinspiration.

Welche Rolle spielt Kunst aus Ihrer Sicht in der heutigen Gesellschaft, insbesondere in Bezug auf die Themen, die Sie ansprechen?

Man macht in der Kunst Dinge sichtbar und versucht, über schwierige Erfahrungen zu sprechen und macht sie zugänglich für andere, die diese Erfahrungen vielleicht auch hatten oder eben auch nicht hatten. Für beide ist es wichtig. Kunst ist für mich sehr politisch.

Was sind Ihre langfristigen künstlerischen Ziele und was möchten Sie mit Ihrer Kunst in der Welt bewirken?

Mein persönliches Ziel ist, in der Kunstwelt, in der ich lebe und arbeite, weiterhin stattzufinden. Dass ich durchhalte und weitermache, und mir das auch selbst erlaube. Kunst ist so eine intensive Erfahrung. Es gibt ganz viele Projekte und ganz viele Dinge, die ich machen möchte. Ich bin so sehr getrieben von meinen ganzen Ideen und ich glaube, dass so Dinge wie Sprache mich nie loslassen werden. 

Instagram: @holy.jesus.christl

WORDRAP

Feminismus bedeutet für mich …
soziale Gerechtigkeit. 

Glücklich macht mich …
Kunst zu machen.

Ein perfekter Tag beginnt für mich mit …
einem blauen Himmel. 

Zum Lachen bringt mich …
ziemlich viel (lacht).
Ich bin sehr leicht zu amüsieren.

BUCHTIPP:
„Ich glaub ich hasse mich“
CHRISTL MTH.
ISBN 978-3-7099-8211-2
Haymon Verlag, € 22,90

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