© Shutterstock
Humanismus, welch gewichtiges Wort in Zeiten der Digitalisierung, in denen das anthropozentrische Weltbild im Begriff zu sein scheint, vom maschinellen abgelöst zu werden! Als Gegenbewegung zur Hyperdigitalisierung hat sich die philosophische Denkrichtung des Digitalen Humanismus der Wiederbelebung der Ideale des Humanismus verschrieben: für ein Gleichgewicht zwischen zivilisatorischem und technologischem Fortschritt, mit dem Menschen im Mittelpunkt.
Der Humanismus war eine Strömung in Europa, deren Ziel es war, das geistige Vermächtnis der griechisch-römischen Antike zu bewahren und fortzuführen. Zurückgehend auf den berühmten Redner, Politiker und Philosophen des alten Rom Cicero (1. Jh. v. Chr.) erlebte der Humanismus in der Epoche der Renaissance im 14. bis 16. Jahrhundert seinen ersten Höhepunkt. Der Renaissance-Humanismus war jene wirkmächtige geistige Strömung, in welcher der Begriff „Humanismus“ die Prägung erfahren hat, in der wir ihn heute kennen.
Die Wertschätzung und das Studium der antiken griechischen und römischen Kultur, Literatur und Philosophie bestimmten das römische Konzept der humanitas, worunter Cicero schlicht den Inbegriff des Menschlichen im Unterschied zum Tierischen verstand: Menschlichkeit nicht nur im Sinne der Menschenliebe, sondern im Hinblick auf geistige Bildung. Eine erneute Wiederbelebung erfuhr der Humanismus in der deutschen Klassik durch Vertreter wie Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller oder Wilhelm von Humboldt, den Urvater des humanistischen – des Humboldtschen – Bildungsideals.
Die Bedeutung des Humanismus geht also weit über die Renaissance hinaus. Der Humanismus hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf die Entwicklung der westlichen Zivilisation und trug dazu bei, dass sich das Weltbild von einem religiösen hin zu einem humanistischen, in dem der Mensch im Zentrum steht, verschob.
Der Mensch im Zentrum.
War es im Humanismus Gott, der vom Thron gestoßen wurde, indem sich der Mensch zu der die Welt ordnenden und gestaltenden Macht emanzipierte, so sind es heute Technologien, denen das Menschsein entgegnet werden soll. Der Digitale Humanismus versucht, die Verbindung zweier konträrer Konzepte – „digital“ und „Humanismus“ – herzustellen. Sein Hauptanliegen ist, dass dem Menschen sein Platz im Mittelpunkt der Gesellschaft und des Weltgeschehens nicht durch Maschinen streitig gemacht wird, sondern Technologien im Dienste des Menschen stehen.
Die Stimme der Vernunft.
Keine Errungenschaft beeinflusst die Welt seit Mitte des vorigen Jahrhunderts so umfassend und fundamental wie die Informatik als Leitwissenschaft der Digitalisierung. Der positive Nutzen digitaler Technologien ist beinahe unbegrenzt, es gibt kaum Bereiche, wo Maschinen uns nicht unterstützen können, weil sie so viel schneller, leistungsfähiger und effizienter sind als wir. Der Digitale Humanismus erkennt dies an.
Eine apokalyptische Stimmung zu verbreiten, indem er vor der Vernichtung des Menschen durch die Weltherrschaft an sich reißende künstliche Intelligenzen warnt, ist nicht im Sinne des Digitalen Humanismus. Doch er grenzt sich auch von Tech-Aposteln ab, die in der Digitalisierung den Retter der Menschen und Löser aller möglichen Probleme sehen. Somit vertritt der Digitale Humanismus eine nüchtern-kritische Mittelposition zwischen Euphorie und pessimistischem Endzeit-Diskurs.
Vordenker.
Ein Vordenker und Vorreiter des Digitalen Humanismus im deutschsprachigen Raum ist der renommierte Philosoph Julian Nida-Rümelin (s. Buchtipp auf S. 25), der jenen als eine Alternative zur, wie er es nennt, „Silicon-Valley-Ideologie“, einer Mischung von Technologie, Ökonomie und gar Theologie, bezeichnet: „Im Gestus der Wissenschaftlichkeit und Fortschrittlichkeit manipulieren die Silicon-Valley-Konzerne die Welt nach ihren Vorstellungen, was dazu führen könnte, dass der Mensch dem Gesetz des technologischen Fortschritts unterworfen wird.“
Humanistische Impulse, wie die Verbesserung des Menschen und seiner Situation werden zwar als Ausgangspunkt genommen, es werde dabei allerdings „insofern über das Ziel hinausgeschossen, als sie zu anti-humanistischen Utopien transformiert und pervertiert werden“, so Nida-Rümelin. Laut dem Philosophen beginne die Silicon-Valley-Ideologie zwar bei der Verbesserung des Humanen, es bestehe aber die Gefahr, dass sie in der finalen Überwindung des Humanen ende. „Dem stellt sich der Digitale Humanismus als eine Ethik für das Zeitalter der künstlichen Intelligenz entgegen. Denn der Mensch und das Menschliche dürfen nicht auf der Strecke bleiben.“
Digitaler Humanismus in der Praxis.
Weil ethische Fragen bei der Entwicklung digitaler Technologie auch in der Forschung und Lehre von großer Bedeutung sind, verlieh die „Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur“ UNESCO im Mai letzten Jahres den in Österreich ersten Lehrstuhl für Digitalen Humanismus an der Fakultät für Informatik der Technischen Universität Wien, womit diese zur Vorreiterin für eine ethisch verantwortungsvolle Nutzung der digitalen Technologien in Österreich wurde.
Die Vergabe des Lehrstuhls zeigt, dass die Bedeutung der Beschäftigung mit den ethischen, sozialen und politischen Auswirkungen von digitalen Technologien sowie die Sicherstellung, dass die digitale Transformation derart gestaltet wird, dass der Mensch im Mittelpunkt des technologischen Fortschritts bleibt, groß ist. Was die Hoffnung stärkt, dass Technologie und Mensch(lichkeit) tatsächlich miteinander vereinbart werden können und das, worauf der Digitale Humanismus plädiert, stets eingehalten wird, nämlich eine „instrumentelle Haltung gegenüber der Digitalisierung“, womit Nida-Rümelin meint: Was kann uns ökonomisch, sozial und kulturell nutzen, und wo lauern Gefahren? Fragen, die sich Menschen bei allen bahnbrechenden Erfindungen gestellt haben.