Trauer endet nie…

… doch sie verändert sich mit der Zeit, sagt Sonja Uhrlich.

7 Min.

© Markus Polt

Sie weiß, wovon sie spricht, denn sie arbeitet als Trauerrednerin und ehrenamtliche Sterbe- und Trauerbegleiterin.

Es ist wichtig, Gefühle zuzulassen. Denn unterdrückte Schmerzen kommen mit doppelter Wucht zurück.

Sonja Uhrlich, Trauerrednerin

Jeder Mensch trauert anders. Was allerdings für jeden Trauernden wichtig ist: Gefühle, die hochkommen, sollte man zulassen und nicht verdrängen. Denn unterdrückter Schmerz kommt unweigerlich mit doppelter Wucht zurück, weiß Sonja Uhrlich aus Rohr im Kremstal. Sie ist Trauerrednerin und hat ein Buch geschrieben, das Hinterbliebene dabei unterstützen soll, ihre Trauer zu verarbeiten (www.trauerrednerin-uhrlich.at). 

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Trauer nie endet, sich mit der Zeit aber verändert. Was bedeutet das?

Sonja Uhrlich: Die Trauer wandelt bzw. verändert sich und wir wandeln und verändern uns mit ihr. Man lernt, mit ihr zu leben, ihr einen Raum zu geben. Dieses Gefühl kann sehr unterschiedlich sein und nimmt auch jeder anders wahr. Es kommt darauf an, wie mein Umfeld ist und wie ich mein Leben gestalte.

Stimmt es, dass man ein Jahr mit allen Festen, wie Geburtstagen und Weihnachten, durchmachen muss, damit es leichter wird? Lässt sich das so pauschal überhaupt sagen?

Nein, denn jede Trauer, jeder Mensch ist anders. Ich kenne Trauernde, die Jahre gebraucht haben, um wieder ein „normales“ Leben führen zu können. Auf der anderen Seite kenne ich auch Trauernde, die ihr Leben neu sortiert und nach einigen Monaten wieder Freude und sogar einen neuen Menschen gefunden haben.

Trauer ist so individuell wie die Menschen selbst. Gibt es etwas, das dennoch bei jedem trauernden Menschen gleich ist?

Nein, wie Sie richtig sagen, sind jeder Mensch und jede Trauer individuell und anders. Da gibt es nichts Gleiches. Genauso, wie die Beziehung zu der verstorbenen Person gewesen sein mag und jeder von uns mit Gefühlen und Emotionen anders umgeht, gibt es eben nichts Gleiches oder Vergleichbares.

Oft ist es eine Kleinigkeit, die einen wieder vollkommen aus der Bahn wirft. Wie geht man mit solchen Situationen am besten um?

Wichtig ist, Gefühle zuzulassen, die Situation zu akzeptieren und nichts zu verdrängen. Egal, ob Wut, Zorn, Trauer – alles darf sein und hochkommen. Trauer ist ein natürlicher Prozess. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass das Reden sehr hilfreich sein kann und man nicht verlegen sein sollte, sich einen Gesprächspartner – sei es ein Freund, Seelsorger, Nachbar oder Kollege – zu suchen. Dabei geht es nicht darum, dass das Gegenüber mich verstehen muss, sondern dass ich die Gelegenheit bekomme, meine Gedanken und Gefühle auszudrücken und sie zu verarbeiten.

Warum ist das so wichtig, die eigene Trauer zuzulassen und bewusst zu erleben? 

Gefühle sind da, um gefühlt zu werden. Jedes Gefühl hat seine Daseinsberechtigung und ist für unsere Seele oder auch den Körper wichtig. Nur, wenn man Gefühle bewusst wahrnimmt und in den seelischen Schmerz eintaucht, kann man langfristig Heilung erfahren. Unterdrückte Schmerzen kommen mit doppelter Wucht zurück, denn oft braucht es da nur eine Kleinigkeit und man ist wieder am Boden und am Verzweifeln. Sterben und der Tod gehören zum Leben und wahrscheinlich macht jeder von uns mal eine Trauer durch. Daher appelliere ich, sich mit der eigenen Endlichkeit auseinanderzusetzen, öfters über den Tod und das Sterben zu sprechen, dann bekommt man zu diesem Thema einen etwas anderen Zugang und tut sich möglicherweise etwas leichter, wenn man selbst in solch eine Situation kommt.

Wie geht man mit Menschen um, die trauern? Ist gemeinsames Schweigen oftmals besser als Ratschläge oder gut gemeinte Lebensweisheiten? 

Es gibt in dieser Situation keinen guten Rat, weil eben jede Trauer und jeder Mensch verschieden sind. Oft braucht es nicht viel, es reicht, einfach nur da zu sein. Dem Trauernden zuzuhören, ohne zu werten, und ihm und seiner Trauer einen Raum zu geben. Trauernde brauchen Menschen, die aushalten können, dass sie traurig sein dürfen. Gemeinsam zu schweigen oder eine Umarmung kann da schon sehr hilfreich sein.

Warum sind die meisten Menschen im Umgang mit Trauernden so unsicher?

Die Unsicherheit besteht meist darin, etwas falsch machen zu können. Wenn man sich wirklich unsicher ist, ob man das Richtige sagt oder tut, kann man den Betroffenen fragen und ehrlich kommunizieren. Er kann dann sagen, was er braucht und empfindet.

Sie sind als Trauerrednerin tätig. Wie sind Sie dazu gekommen?

Ich bin der Meinung, dass jeder Mensch einen würdevollen Abschied verdient und dabei eine Trauerrede nicht fehlen sollte. Ich nenne es „einen Moment der liebevollen Erinnerungen“. Dabei lasse ich das Leben des Verstorbenen noch einmal Revue passieren und stelle den Menschen in den Mittelpunkt. Gemeinsam wird durch Worte erinnert,  wie der Mensch war und was ihn ausgemacht hat. Mir ist es wichtig, die Rede so authentisch wie möglich zu halten, ohne Verallgemeinerungen oder irgendwelche Floskeln. Eine Lebensrede ist mehr als nur eine Abfolge von Worten, sie ist eine Gelegenheit, die Persönlichkeit und die besonderen Momente im Leben des Verstorbenen zu würdigen. Und für mich ist es eine Ehre, Geschichten eines verstorbenen Menschen erzählen zu dürfen und dabei die Herzen zu berühren. Ich durfte schon viele Abschiede begleiten und aus Erfahrung kann ich sagen, dass Angehörige immer sehr froh und dankbar sind, eine persönliche Trauerrede für ihren geliebten Menschen zu haben. Diese Rede hilft ihnen, Trost zu finden, Erinnerungen zu teilen und einen würdevollen Abschied zu gestalten.

Phasen der Trauer

Trauer, die sich nach dem Verlust eines geliebten Menschen zeigt, ist laut Sonja Uhrlich oft nicht konstant, sondern vielmehr ein dynamischer und sich verändernder emotionaler Zustand. Experten gliedern diesen Prozess in verschiedene Trauerphasen.

1. Nicht wahrhaben wollen

In der ersten Phase, oft als „Nicht-Wahrhaben-Wollen“ bezeichnet, reagieren Menschen, die einen Todesfall in der Familie erleben, in der Regel schockiert. Sie fühlen sich hilflos, ohnmächtig und möchten oft die Realität des Verlusts nicht akzeptieren. Das kann dazu führen, dass sie den Tod des geliebten Menschen leugnen. In dieser Zeit ist es von großer Bedeutung, die Hinterbliebenen zu unterstützen und ihnen das Gefühl zu vermitteln, dass sie nicht allein sind.

2. Aufbrechende Emotionen

In der zweiten Phase kommen oft intensive Emotionen wie Wut, Schmerz und Schuldgefühle hoch. Es ist wichtig, dass Trauernde in dieser Phase ihre Gefühle akzeptieren und nicht unterdrücken, da sich unbehandelte Trauer negativ auf die psychische Gesundheit auswirken kann. In dieser Zeit sollten Trauerbegleiter, seien es professionelle Seelsorger oder Freunde, Beistand und Unterstützung bieten.

3. Suchen und sich trennen

In dieser Phase, die als „Suchen und Sich-Trennen“ bezeichnet wird, geht es um die intensive Auseinandersetzung mit dem Verstorbenen und dem Verlust. Hinterbliebene suchen oft Orte auf, die für sie und den Verstorbenen eine besondere Bedeutung hatten. Auch der Besuch des Grabes ist ein wichtiger Teil dieser Phase, da er die Möglichkeit bietet, in Gedanken und Gesprächen mit dem Verstorbenen Abschied zu nehmen und den Tod zu akzeptieren. Jetzt ist es besonders wichtig, den Trauernden Geduld und Verständnis entgegenzubringen, da sie sich auf ihre eigene Weise mit dem Verlust auseinandersetzen und den Weg zur Versöhnung mit der Realität finden.

4. Inneren Frieden finden

In der abschließenden Phase der Trauer, wenn Hinterbliebene inneren Frieden gefunden haben, tritt eine Veränderung im Selbst- und Weltverständnis ein. Der schmerzhafte Verlust des geliebten Menschen ist überwunden, und der Tod wird akzeptiert. In dieser Zeit beginnen die Hinterbliebenen, neue Lebenspläne zu schmieden, die nicht mehr die Anwesenheit des Verstorbenen einschließen. Dennoch bleibt die Erinnerung an die wertvollen Momente mit dem Verstorbenen ein bedeutender Bestandteil ihres Lebens.

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