Walk4Future Reisetagebuch: Paris Calling und zurück auf den Laufsteg der Mode
MARTINA GLEISSENEBNER-TESKEY ÜBER IHRE AUSSERGEWÖHNLICHE REISE.
© Privat
Zu Fuß von Klosterneuburg nach Paris – zur Haute Couture Week! Und das im Zeichen der Nachhaltigkeit. Unter dem Motto „WALK4FUTURE – REthink Fashion“ legt Martina Gleissenebner-Teskey, Finalistin in der 17. Staffel von Germany’s Next Topmodel, die 1.620 Kilometer lange Strecke von ihrem Wohnort Klosterneuburg nach Paris zu Fuß zurück. Sie setzt damit ein wichtiges Zeichen gegen Fast Fashion und für Nachhaltigkeit in der Modeindustrie.
Was sie in der neunten Woche erlebt hat, erzählt Martina Gleissenebner-Teskey in ihrem Walk4Future Reisetagebuch:
Die letzten Kilometer nach Paris
Am Sonntag hatte ich mich mit Mühe nach Château-Thierry ins Quartier geschleppt. Während des Gehens merkst du, dass dir alles weh tut, aber wirklich schlimm wird es erst, wenn du dich einmal hingesetzt und die Schuhe ausgezogen hast und vor der Frage stehst: wie schaffst du die paar Meter zum Restaurant, um endlich etwas in den Magen zu bekommen?
Ich schwöre – es gab nie einen Moment in den ganzen vorherigen 8 Wochen, an dem ich das Gefühl hatte, keinen einzigen Schritt mehr machen zu können. Nicht aus Müdigkeit, sondern aus Angst, die Füße so zu lädieren, dass ich nie wieder ordentlich gehen könnte. Ohne Essen ins Bett kam nicht in Frage, daher humpelte ich letztendlich auf Zehenspitzen (Auf Zehenspitzen werden die Achillessehnen am wenigsten belastet) über die Straße zum erstbesten Restaurant. Ich muss ein ganz schlimmes Bild abgegeben haben…
Ich kann nur mutmaßen, warum ich gerade jetzt, so kurz vorm Ziel solche Probleme bekommen habe. Es war sicher ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren: das zu lange Gehen in zu knappen Schuhen (nach der Komplettwäsche – und Turbotrocknung zwei Wochen davor), sehr wahrscheinlich verbunden mit Ausweichbewegungen.
Das lange Sitzen im Zug als krasses Kontrastprogramm zum langen Gehen. Und nicht zuletzt der lange Tag in Köln auf Stöckelschuhen. Und ja, ich habe mich auch nicht mehr so gut um meine Füße gekümmert wie zuvor. Die Tapes sind mir ausgegangen und ich habe zu lange gewartet, um mir wieder welche zu kaufen, abgesehen davon, dass ich zum Teil weder Zeit noch Möglichkeit hatte, mir welche zu besorgen. Das alles, gemeinsam mit einer allgemeinen körperlichen Ermüdung, hat vermutlich zu diesem Ergebnis geführt.
Die Frage war also: was machst du? Und ich habe entschieden, mir am Montag Pause zu gönnen – nachdem ich mir zuvor in der Apotheke nebenan (was für ein Glück!!) Tapes besorgt und meine Beine versorgt hatte – und den Zug nach Meaux zu nehmen und damit auch knapp 50 km näher an Paris zu sein. Es kommt ja dazu, dass ich den Agentur-Termin, den ich am Freitag wegen der Zugverspätung versäumt hatte, unbedingt wahrnehmen wollte und Mittwoch der einzig mögliche, sicher (!) verbleibende Tag war.
Der Plan war gewesen, bis 21.00 am Mittwoch Abend in Paris zu sein, um dann den Overnight-Bus nach München zum Perfect Runway zu nehmen. Das hätte funktioniert, wenn ich komplett fit gewesen wäre. Jeden Tag 35km (insgesamt 105km bis zur Stadtgrenze von Paris), war machbar. Aber so, mit entzündeten Sehnen und einem Nachmittagstermin in Paris war das nicht mehr möglich. Und ich sollte am Freitag auch noch für fünf Designer laufen, nicht humpeln.
Die Entscheidung stand auch noch aus, ob ich nach der Münchner Show noch einmal nach Paris zurückkehren würde. Ich hatte alle mir möglichen Hebel in Bewegung gesetzt, um in Paris während er Haute Couture Week interessante Events mitnehmen zu können und bin bis dahin gescheitert. Es hat sich wieder einmal gezeigt, dass Paris die schwierigste aller Modestädte ist.
Diversity ist noch kaum angekommen und Haute Couture ist noch einmal strenger. Das war mir von vorneherein klar, weshalb mich die Bestätigung meiner Vermutung nicht sonderlich schockierte. Was ich aber schon nutzen wollte, war die Möglichkeit, mich einer Agentur vorzustellen und ein Gespräch mit der Präsidentin der Fashion Revolution Frankreich, Catherine Dauriac, zu führen. Alles hat mit der Fashion Revolution angefangen, es wäre dumm, mein Projekt ohne dieses Gespräch enden zu lassen.
Und beides konnte ich am Mittwoch noch wahrnehmen. Deshalb traf ich die Entscheidung, am Dienstag noch einmal ein Stück mit dem Zug zu fahren, um dann die letzten 23,9km bis zum Louvre zu Fuße zu gehen. Es waren die letzten 23,9 km auf einem Weg von nunmehr insgesamt 1486,45km. Und ich genoss jeden Schritt, kürzte nichts ab, denn mir war bewusst, dass dies nach 59 Tagen der Höhepunkt, wenn auch nicht der Endpunkt, meiner Reise war. Um 16:26 überschritt ich die Grenze von Saint-Mandé nach Paris an der Porte de Vincennes. Am 18. Juni, um exakt 18:00 machte ich das erste Foto vor der Pyramide am Place du Louvre.
Ich saß noch über eine Stunde dort und genoss das Treiben auf einem der schönste Plätze Welt. Ein Straßenmusikant spielte meine Lieblingsmelodien von Ludovico Einaudi, es war mild und regnete nicht und ich ließ das Gefühl zu, stolz auf mich zu sein. Ja, ich hatte echt ganze Arbeit geleistet. Die Analyse stand noch aus, aber auch ohne sie wusste ich, was ich in diesen knapp 3 Monaten geschafft hatte.
Um den Anlass zu würdigen, ließ ich mir im Hotel ein Bad ein und gönnte mir eine kleine Flasche Champagner. Den Mittwoch verbrachte ich mit einem Spaziergang durch das immer wieder überwältigend schöne Paris, einem Treffen und Interview mit Catherine und dann einem Vorstellen in der Agentur, die mir aber bestätigte, dass ich für die Schauen in der nächsten Woche keine Chancen hatte. Damit war für mich auch klar, dass ich nicht nach Paris zurückkehren würde, wenn nicht noch irgendein Wunder geschah.
Mein Ziel war erreicht: ich war in Paris angekommen, ich hatte meinen Weg gemacht und viele Changemaker getroffen und vorgestellt und nun würde ich nach exakt 3 Monaten den Laufsteg der Straße wieder mit dem Laufsteg der Mode wechseln. Nur nicht in Paris, sondern in München. Aber das war ok. Laufsteg ist Laufsteg.
Abends holte ich also meinen Rucksack aus dem Hotel und marschierte in schon altbewährter Art die 5,4km bis zum Busbahnhof, um dort den Nachtbus nach München zu nehmen. Ich saß neben einem IT-Manager aus Indien, der für eine Fortbildung im INSEAD in Fontainebleau war und entschieden hatte, nicht auf kürzestem Wege zum Flughafen und zurück nach Hause zu fliegen , sondern 1,5 Tage mit dem Bus durch Europa zu fahren, um etwas von diesem Kontinent zu erleben. Was soll ich sagen – wieder eine inspirierende Begegnung.
Donnerstag und Freitag verliefen wie ich es von allen Fashion Weeks gewohnt war: Fittings, Proben, Shows. Lou-Anne war auch da und am Freitag kam Thomas nach, um bei der Abendshow dabei zu sein.
Der Wechsel von einem Laufsteg zum anderen gelang mühelos, ich genoss die Bühne und die künstlerische Vielfalt, deren Inszenierung ich Teil war. Bei der so viele kreative Menschen beteiligt sind, um gemeinsam etwas in die Welt zu bringen, das fasziniert und inspiriert. Was soll ich sagen? I love my job! Am Samstag ging es für mich und meine Familie zurück nach Hause. Sonntag war dann der erste Morgen nach 63 Tagen, an dem ich mir keinen Wecker stellen musste. Das tat gut.
Wie es weitergeht? Am 2.7. bin ich wieder in Berlin zur Fashion Week, diesmal aber auch als Vortragende im Rahmen des 202030 – The Berlin Fashion Summit. Spätestens bis dorthin werde ich die Frage beantwortet haben, die mir aktuell am häufigsten gestellt wird: Würde ich es noch einmal machen? Bzw. Werde ich meinen Weg fortsetzen?
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