„Jeder kann zum Mörder werden“
Der neue Thriller von Bestsellerautor Bernhard Aichner ist da! Und auch in „YOKO“ spielt eine Frau die Hauptrolle, die über Nacht zur Mörderin wird.
(c) fotowerk.at
Bernhard Aichner liebt es, starke Frauenfiguren in seinen Romanen zu etablieren. So auch in seinem neuen Thriller „YOKO“, wo er die gleichnamige Heldin auf einen erbarmungslosen Rachefeldzug schickt. Den Durchbruch hat der Tiroler übrigens 2014 mit seiner „Totenfrau“-Trilogie geschafft, die sogar von Netflix und ORF verfilmt wurde. Auch darin spielt mit Bestatterin Brünhilde Blum eine Frau die Hauptrolle. Was für ihn das Besondere ist, aus der Sicht einer Frau zu schreiben, und warum er glaubt, dass jeder Mensch zum Mörder werden kann, erklärt er in unserem Interview.
In Ihrem neuen Roman „YOKO“ gibt es nach der Bestatterin Brünhilde Blum aus der „Totenfrau“-Trilogie und Rita Dalek aus „Der Fund“ eine weitere weibliche Hauptfigur. Was ist für Sie das Besondere daran, als Autor aus der Sicht einer Frau zu schreiben?
Ich liebe es, starke Frauenfiguren in meinen Romanen zu etablieren. Viel zu lange haben männliche Helden die Literatur dominiert. Mich fasziniert die Leidenschaft, mit der sie an Dinge herangehen, aber vor allem auch ihr Fokus – sie wissen genau, was sie wollen und wie sie ihr Ziel erreichen. Und gehen dabei oft ganz eigene Wege. Die Statistik sagt ja, dass es hauptsächlich Männer sind, die morden. Und viel zu oft sind ihre Opfer Frauen! Femizide stehen erschreckenderweise an der Tagesordnung. Deshalb habe ich mir gedacht, den Spieß umzudrehen. Eine Frau erhebt sich über patriarchale Systeme und nimmt ihr Schicksal selbst in die Hand – und das ihrer Peiniger.
Denken Sie, dass diese Geschichte und eben diese starke Frau Männer ebenso anspricht wie Ihre weibliche Leserschaft?
In einer männerdominierten Welt ist es doch ein Vergnügen, zu ehen, dass Frauen sich rächen, den Spieß umdrehen, Respekt einfordern, Demütigungen nicht mehr dulden und Männer bestrafen, die Gewalt ausüben, terrorisieren und unterdrücken. Es geht um das Ausmerzen von Unrecht, um Gewalt an Frauen, die meist ungesühnt bleibt. Und das Schöne dabei ist, das gefällt nicht nur weiblichen Leserinnen, sondern auch aufgeschlossenen und klugen Männern.
Getrieben von Kränkung, Neid oder Gier traue ich jedem von uns alles zu.“
Bernhard Aichne
Das Motiv der Rache spielt in Ihren Thrillern immer wieder eine zentrale Rolle. Was fasziniert Sie daran?
Rachegeschichten haben mich immer schon begeistert. „Der Graf von Monte Christo“ war der Held meiner Jugend, ich liebe diese Geschichte. Das Leid, das die Hauptfigur in diesem Roman empfunden hat, treibt mich heute noch an. Diese Ungerechtigkeit, die Verzweiflung darüber, die Wut und der Zorn. Ich bin bis heute inspiriert davon und baue meine Geschichten auf dieser Emotionalität auf. Man soll fühlen, was Yoko fühlt. Spüren, was sie erleidet. Lieben und hassen wie sie. Ich möchte meine Leserinnen und Leser so tief in die Geschichte hineinziehen, dass es kein Entkommen mehr gibt. Fängt man mit diesem Buch einmal an, legt man es nicht mehr aus der Hand – versprochen!
Sie sind sehr nah dran an Ihren Figuren. Ist das ein Schlüssel Ihres Erfolges?
Ich liebe meine Figuren, lasse sie aber auch durch die Hölle gehen. Sie machen all die Dinge, für die ich im wirklichen Leben viel zu feige wäre. Ich denke mir diesen ganzen Wahnsinn aus und meine Figuren dürfen ihn ausleben. Sie loten meine Grenzen aus und dürfen sie auch überschreiten. All mein Übermut fließt da hinein, mein Hang zum Spielen, mein Durst nach Abenteuer und Spannung. Was Yoko durchlebt, habe auch ich durchlebt. Am Schreibtisch zwar, aber immer hautnah. Ich bin mit ihr in dieser Achterbahn gesessen, die aus der Spur geraten ist. Ich habe gelitten und geweint mit ihr, bin aber auch mit ihr gewachsen.
Glauben Sie noch an das Gute im Menschen? Immerhin ergründen Sie als Autor, wozu sie fähig sein können, und spielen es bis zum Äußersten durch …
Ich glaube fest daran, dass in jedem Menschen beides nebeneinander existiert: Gut und Böse, in verschiedenen Ausprägungen. Und ich bin auch davon überzeugt, dass jeder Mensch zum Mörder werden kann. Jeder ist in der Lage, Grenzen zu überschreiten, es muss nur die Motivation stimmen. Kränkung, Gier, Rache, Eifersucht. Ich suche nach den Auslösern, versuche nachvollziehbar zu machen, warum jemand tötet. Die Grenzen zwischen Opfer und Täter verschwimmen dabei. Täterpsychologie nimmt einen wichtigen Teil meines Schreibens ein. Man fühlt mit Yoko mit. Es geht um Emotionen, die ich wecken will. Erst wenn das gelingt, geht eine Geschichte richtig unter die Haut.
Sie lassen Yoko an einer Stelle gegen Ende des Buches sogar sagen, dass sie nicht von sich geglaubt hätte, einen Menschen umbringen zu können. Denken Sie wirklich, dass jeder Mensch zu einem Mord fähig ist, wenn die Umstände entsprechend sind?
Genau das glaube ich. Das Leid muss nur groß genug sein, die Situation so ausweglos, dass kein anderer Weg mehr bleibt. Der Schalter im Kopf legt sich um und aus dem friedlichsten Menschen wird ein Rasender, der kein Rechtsempfinden mehr hat und wie im Rausch um sich schlägt. Getrieben von Kränkung, Neid oder Gier traue ich jedem von uns alles zu. Auch den noch so unscheinbaren Damen in meinem Publikum bei Lesungen. Wobei, die sind ja meist die blutrünstigsten von allen … (lacht).
Sie sind ein Spezialist für Happy Ends. Dürfen die Leserinnen und Leser hoffen, dass auch in diesem Thriller wieder alles gut wird?
Ich liebe es tatsächlich, wenn meine Heldinnen und Helden nach all dem, was ich ihnen als Autor im Laufe eines Romans antue, am Ende zumindest ansatzweise aufatmen dürfen. Ob auch hier alles gut wird, kann ich aber nicht beantworten. Ob solche Wunden sich tatsächlich wieder schließen lassen. Versprechen kann ich nur, dass Yoko am Leben bleibt. Nächsten Sommer erscheint bereits die Fortsetzung, die „JOHN“ heißen wird.
War für Sie von Anfang an klar, dass es einen zweiten Teil geben wird oder ist diese Idee während des Schreibens entstanden?
Ich bin mit „YOKO“ und „JOHN“ zum Rowohlt Verlag gewechselt und habe in Hamburg eine neue, wunderbare Verlagsheimat gefunden. Ich habe die Story für die zwei Bände dort vor zwei Jahren vorgestellt und die Verlegerin war begeistert. Es war also von Anfang an klar, wo die Reise hingeht, wie es beginnt und wie es endet. Das ist bei mir immer so. Ich plane sehr genau, bevor ich mit dem Schreiben beginne. Alle Fäden, die ich auswerfe, sollen am Ende zusammenführen. Ich möchte die Spannung so hoch wie möglich halten und von der ersten bis zur letzten Seite fesseln.
Buchtipp:
„YOKO“, Bernhard Aichner, Rowohlt Verlag, € 24,50. HIER bestellen.
DAS KÖNNTE dich auch interessieren:
Parov Stelar: „Veränderung ist pures Leben – auch in der Kunst“