Die Wahrheit über Sisis ungeliebte Schwiegermutter Sophie
Historikerin Michaela Baumgartner im Interview.
© Joseph Karl Stieler / Wikimedia Commons
Wenn zu Weihnachten mit den Sissi-Filmen aus den 1950er Jahren wieder kaiserlicher Glanz und große Gefühle über die Bildschirme flimmern, begegnen wir neben der liebreizenden, jungen Kaiserin auch der „bösen Schwiegermutter“ Sophie. Aber wie war die Erzherzogin von Österreich und Mutter des Kaisers wirklich? Historikerin Michaela Baumgartner im Interview.
Sophie, die Kaisermacherin: So war Sisis Schwiegermutter wirklich
Michaela Baumgartner leitet ihre Romanbiografie „Sophie. Die Kaisermacherin“ über Sisis ungeliebte Schwiegermutter mit einer fiktiven Szene zwischen dem Regisseur Ernst Marischka und Vilma Degischer als Sophie ein. Ein süßes Mädel mit Zuckerguss, meint die Degischer, sei die Romy Schneider als Sissi, während ihr die Rolle der erbarmungslos Resoluten zukäme. Aber, „wen interessiert schon die Wahrheit, wer weiß schon, was vor mehr als hundert Jahren passiert ist“, meint der Marischka, denn „Kitsch ist das beste Mittel gegen Trauer“, und schließlich braucht doch jedes Märchen eine Hexe …
Was aber ist die Wahrheit? Sie war klug, charmant, gebildet und hübsch obendrein, schreibt die promovierte Historikerin, als sich die Wittelsbacher Prinzessin Sophie, Tochter des bayerischen Königs, 1824 mit Franz Karl, dem alles andere als attraktiven Sohn des österreichischen Kaisers verlobt. Verliebt ist sie nicht, aber wild entschlossen, glücklich zu werden. Am konservativen Wiener Hof fliegen ihr die Herzen im Sturm zu, sogar Metternich liegt ihr zu Füßen – nur ihre Ehe steht anfangs unter keinem guten Stern. Über die Jahre aber wird aus der fünffachen Mutter die mächtigste Frau am Wiener Hof…
Michaela, nach Ihrer wunderbaren Roman-Trilogie über Frauen im 19. Jahrhundert widmen Sie sich jetzt der berühmt-berüchtigten Schwiegermutter von Kaiserin Elisabeth, warum?
Nach meiner Wohlleben-Saga hatte ich Lust, mich mit einer realen Person zu beschäftigen. Warum Sophie? Weil sie stark war, mächtig, politisch denkend und strategisch handelnd. Damit passte sie ganz und nicht in das Frauenbild dieser Zeit. Und weil man ihr wirklich unrecht tut, wenn man sie auf die Rolle der bösen Schwiegermutter beschränkt. Da hab ich mittlerweile fast so etwas wie ein Sendungsbewusstsein entwickelt.
Was hat Marischka mit den Sissi-Filmen angerichtet, dass über Generationen dieses falsche Bild von Sophie entstand?
Die Sissi-Trilogie wird heuer 70 Jahre alt, was aber ihrem Erfolg keinen Abbruch tut. Diese Filme beamen einen in eine heile Welt, die bezaubert. Kitsch kann das, aber gerade das macht ihn so gefährlich. Weil er die Realität außen vor lässt. Da mögen die Kostüme noch so gut gemacht sein und das Setting stimmen, die Handlung verführt zu einer falschen Sicht auf die Geschichte. Sophie ist der Schatten, der Sissi noch strahlender erscheinen lässt. Das süße Mädel am Gängelband der mächtigen Übermutter. Dieses transportierte Frauenbild kann einen schon nachdenklich machen …
Anhand von vielen Tagebüchern und Briefen konnten Sie einen sehr intimen Einblick in die Habsburger Familie geben. Wie war die Beziehung von Sophie und Sisi wirklich?
Sehr komplex. Am Anfang liebevoll, vor allem von Sophies Seite, dann aber zunehmend toxisch. Zuletzt ein Desaster. Natürlich hatte Sophie anfangs Bedenken, Sisi war so jung und unerfahren, aber die Erzherzogin war entschlossen, aus ihr eine gute Kaiserin zu machen. Und genau daran ist sie gescheitert. Sie hätte sich mehr Verantwortungsbewusstsein und Disziplin von ihrer Schwiegertochter gewünscht, dass sie ihrem Ehemann den Rücken freihält, statt ihn von seinen Regierungsgeschäften abzulenken und ihm das Leben noch schwerer zu machen, als es die politische Lage schon tat, vor allem in den 1860er Jahren. Aber Sisi zog es vor, auf Reisen zu gehen. Das war wohl die größte Bruchlinie in der Beziehung der beiden Frauen. Sisis Liebe zu allem Ungarischen tat ihr Übriges. Nicht umsonst entzog sie Sophie ihre Tochter Marie Valerie, die in Ungarn geboren wurde und anfangs auch nur Ungarisch sprach.
Wurde ihr die Rolle als „einziger Mann am Hof“ zu Unrecht angedichtet?
Nein. Diese sehr plakative Bezeichnung trifft Sophies Rolle ziemlich genau. Auch wenn sie sehr geschickt agierte und sich selbst nie so bezeichnet hätte. Dafür war sie viel zu klug. Sie kannte das Spiel, das zu dieser Zeit am Wiener Hof ausschließlich von Männern dominiert wurde, und wusste, wie heikel ihre Mission war. Sie wollte ihren Sohn auf dem Thron sehen, dazu mussten ein Kaiser, ihr Schwager, und ein Thronfolger, ihr Ehemann, auf die Krone verzichten, und alle anderen mitspielen. Müßig zu sagen, dass sie diese Herausforderung mit Bravour bewältigt hat, ohne sich jemals in den Vordergrund zu drängen. Eine strategische Meisterleistung.
Eigentlich war Sophie eine hingebungsvolle Mutter, und auch die Ehe mit Franz Karl war letztlich von tiefer Zuneigung geprägt…
Ja, das hat mich ja so überrascht. Sophie hatte viele Gesichter. Ihre Loyalität zu ihrem Ehemann, die grenzenlose Liebe zu ihren Kindern, die sie keineswegs durch eine rosa Brille betrachtet hat. Sie wusste sehr genau die Stärken und Schwächen ihrer Söhne einzuschätzen, doch liebte sie alle bedingungslos. Ihre Enkelkinder sowieso. Sophie hatte einen ausgeprägten Familiensinn, auch das machte sie stark und einflussreich.
Was hat Sie im Rahmen Ihrer Recherche am meisten beeindruckt?
Sophies Resilienz, ihre Fähigkeit, Tiefschläge anzunehmen, ohne zu hadern, tief zu fallen und wieder aufzustehen. Und immer das Gute in ihrem Leben zu sehen. Sie war dankbar und zielstrebig, energisch und demütig, diszipliniert und lebensfroh, sanft und kompromisslos. Also ich habe mich mit ihr keine Sekunde gelangweilt.