Die Resilienz der Nonnen von Goldenstein
Neurowissenschafterin Dr. Manuela Macedonia hat die Nonnen von Goldenstein besucht. Ihr Fazit: Gemeinschaft, Spiritualität, Sinn und Struktur wirken neurobiologisch schützend. Sie fördern Resilienz, beugen kognitivem Abbau vor und halten das Gehirn länger jung. Mehr dazu im Interview!
© Thomas Kirchmaier
Sie wollten nicht im Heim sterben, sondern im Kloster leben. Die Geschichte der drei betagten Nonnen von Goldenstein, die aus einem Seniorenheim „ausgebüxt“ und in ihr Kloster zurückgekehrt sind, bewegt seit Monaten Menschen in aller Welt.
Neurowissenschaftlerin Dr. Manuela Macedonia hat die Frauen im Alter von 82 bis 88 Jahre besucht und erklärt, warum ihr Mut ein Paradebeispiel für gelebte Resilienz ist und was ihre Lebensweise über die Kraft von Gemeinschaft, Glaube und Gehirn verrät.
Frau Dr. Macedonia, Sie haben die drei Schwestern in Goldenstein besucht. Wie war die Atmosphäre vor Ort?
Wunderbar. Die Ordensfrauen sind weltoffen und herzlich, keineswegs gebrechlich oder dement. Dank der Unterstützung vieler Menschen kommen sie gut zurecht und wirken glücklich, wieder dort zu leben, wo sie hingehören.
Gab es einen Moment, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Eine der Schwestern zeigte mir Fotos auf ihrem Smartphone, ganz selbstverständlich. Diese Modernität und dieses Interesse an der Welt haben mich verblüfft. Trotz ihres hohen Alters sind sie wach und informiert, wie die meisten Gleichaltrigen draußen es nicht sind, und voller Lebensfreude!

Sie haben sich in Ihrem Buch „Wellness für das Gehirn“ mit Resilienz beschäftigt. Wie definieren Sie diesen Begriff im Fall der Nonnen?
Resilienz bedeutet nicht, alles still zu ertragen oder zwanghaft das „Beste“ aus jeder Situation zu machen. Sie bedeutet, die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und zu vertreten – auch wenn das Konflikte auslöst. Die drei Nonnen haben gespürt, dass sie im Heim seelisch zerbrechen würden, und sie sind gegangen. Das war kein Ungehorsam, sondern ein Akt der Würde, auch ihr Menschenrecht.
Viele Menschen verstehen Resilienz als „Starksein um jeden Preis“. Ist das ein Missverständnis?
Ja! Resilienz ist nicht das Ausharren um jeden Preis. Wenn man gegen die eigene Wahrheit lebt, erzeugt das inneren Stress, und der macht krank. Unsere Sprache kennt dafür viele Bilder: „Ich habe die Nase voll“, „Mir schlägt etwas auf den Magen“. Was wir verdrängen, bleibt im Körper. Wahre Resilienz heißt, auf sich zu hören, Grenzen zu setzen und für sich die passende Lösung zu finden.
Wird man mit dem Alter automatisch resilienter, weil man schon viel erlebt hat?
Nicht unbedingt. Wer viel durchgemacht hat, kann irgendwann erschöpft sein. Der Umzug ins Heim war für die Schwestern ein massiver seelischer Einschnitt – ein Trauma, zumal sie nicht wussten, dass sie nicht mehr nach Hause zurückkehren würden. Negative Erlebnisse aktivieren das Stresshormon Cortisol, von der Evolution geschaffen, um kurzfristig Flucht oder Angriff zu ermöglichen. Bleibt es aber dauerhaft im Körper, kann es Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme und sogar Prozesse auslösen, die das Gehirn schneller altern lassen.
Ich erinnere mich an eine 60-jährige Patientin der Uni-Klinik Innsbruck, die im Jahr 2005 nach der ungewollten Trennung von ihrem Ehemann „plötzlich“ dement wurde. Es war eine Reaktion auf emotionalen Dauerstress. Heute wissen wir, dass Cortisol epigenetisch wirkt, also Gene aktivieren kann, die etwa Demenzprozesse fördern.
Wahre Resilienz bedeutet, die eigenen Bedürfnisse zu vertreten.
Dr. Manuela Macedonia
Was hat die drei Nonnen Ihrer Meinung nach geschützt?
Zwei Dinge: Gemeinschaft und Spiritualität. Beide wirken neuroprotektiv, also schützend für das Gehirn. Die Schwestern führen seit eh und je ein strukturiertes Leben mit Ritualen, Gebet und sozialer Nähe. Diese Verlässlichkeit stabilisiert ihre Psyche. Durch einen gemeinsamen strukturierten Alltag, Gespräche und Gebete werden Botenstoffe wie Dopamin und Oxytocin ausgeschüttet. Sie neutralisieren Stresshormone wie Cortisol und fördern seelische Stabilität.
Also ist Gemeinschaft ein Schlüssel zur seelischen Stärke?
Absolut. Der Mensch braucht Bindung. Studien zeigen: Wenn man einer anderen Person die Hand hält, empfindet sie weniger Schmerz. Diese Nähe hat die Schwestern geschützt. Im Heim litten sie auch unter Trennung: Sie waren auf verschiedene Stockwerke verteilt, das widersprach ihrem bisherigen Leben. Im Kloster leben sie wieder als geistliche Familie, mit Nähe, Austausch und Ritualen. Das alles stärkt.

Welche Rolle spielt Spiritualität für Resilienz?
Eine sehr große. Beim Beten sind die Schmerzregionen im Gehirn weniger aktiv, gleichzeitig werden Dopamin (Glücksbotenstoff) und Oxytocin (Bindungshormon) freigesetzt. Christliche Gebete sind ein innerer Dialog mit einer höheren Instanz – das aktiviert Netzwerke für Mitgefühl, Hoffnung und Selbstregulation. Spirituelle Praxis hat also eine ganz konkrete biologische Wirkung: Sie beruhigt, stabilisiert und schützt das Gehirn vor Stressfolgen.
Kann man sagen, dass Spiritualität und Gemeinschaft der Schlüssel zur Resilienz der Nonnen sind?
Definitiv. Deshalb plädiere ich dafür, älteren Menschen ihre Selbstbestimmung und ihre Gemeinschaft zu lassen. Pflege ist wichtig, aber sie ersetzt keine Geborgenheit. Einsamkeit und Entwurzelung beschleunigen den geistigen Abbau. Das haben wir in vielen Pflegeeinrichtungen während der Corona-Zeit gesehen, als die Älteren nicht mehr mit dem Besuch ihrer Lieben rechnen konnten.
Wie geht es den Schwestern jetzt?
Sie leben wieder in Goldenstein. Eine Firma aus Bayern hat ihnen einen Treppenlift geschenkt, viele Menschen unterstützen sie. Ihre Pensionen wurden zwar eingefroren, aber sie haben ihren Lebensmut nicht verloren – und das ist ihr größter Sieg.
Möchten Sie den Ordensfrauen helfen?
Selbstverständlich! Ich werde am 21. Jänner 2026 im Papiermachermuseum in Steyrermühl einen Vortrag zum Thema „Liebe aus Sicht des Gehirns“ halten – kostenlos, versteht sich. Die OBERÖSTERREICHERIN und das Papiermachermuseum Steyrermühl unterstützen mich dabei und helfen, diese Charity-Veranstaltung zu realisieren.
Waschmaschine gesucht!
Die drei Nonnen stehen derzeit vor einer großen Herausforderung im Alltag: Ihnen fehlt eine Waschmaschine. Falls jemand die Möglichkeit hat, ein neues Gerät zur Verfügung zu stellen oder beim Ankauf zu unterstützen, wäre für die Nonnen eine große Hilfe.
Kontakt: schloss@goldenstein.cc

BUCHTIPP:
Näheres zum Thema Resilienz in „Wellness für das Gehirn“ von
Dr. Manuela Macedonia, Edition a, 2024, ISBN 978-3-99001-716-6
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