„Das Leben hat mir das Schöne gezeigt“

Stillstehen, das fällt Christine Seidl aus Aspach schwer. Denn die Landwirtin ist eine, die immer in Bewegung ist – vor allem in ihrem Garten vor dem schönsten Bauernhaus des Landes.

9 Min.

Text: Denise Derflinger

Richtig gelesen! Dieser wunderschöne Flecken Erde wurde 2020 sogar anlässlich der OÖ Garten-Trophy gekürt. Und wir durften der quirligen Frau mit dem großen Wissensdurst bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen.

Reinfahren in den Hof. Anhalten. Aussteigen. Durchatmen. Der Vierseithof, etwas außerhalb der Gemeinde Aspach im Innviertel, lässt schon auf den ersten Blick viel erwarten. Dass die Hausbesitzerin, Christine Seidl, einen Hang zur modernen Romantik und einen Sinn für das Schöne hat, zeigen die Grünpflanzenarrangements, die jede Ecke des Hofes verschönern. Den Hof selbst hat 1827 der Urururgroßvater  gekauft. „Seppenbauer“ der Hausname, in der Umgebung einfach „Sepp z‘Wieselberg“. Eigentlich sollte Christine Seidls Bruder einmal den Hof übernehmen, wäre er nicht im zarten Alter von sechs Jahren verunglückt. Als nun einziges Kind wurde Christine später, als junge Frau, ins Bäuerinnen-Dasein quasi hineingeschubst, anstatt, wie von ihr geplant, Lehrerin zu werden. Wir besuchten ein Kleinod samt Menschen, die in ihrer Landwirtschaft mehr sehen als nur Acker und Felder. 

Frau Seidl, das Schicksal hat es anders mit Ihnen gemeint. Statt als Lehrerin in Schulen zu stehen, sind Sie heute Bäuerin. War das für Sie so in Ordnung?

So waren die Zeiten: Man fügte sich dem Schicksal, wollte die Eltern nicht enttäuschen, das Erbe weiterführen. Alle Generationen davor bemühten sich um den Hof und du übernimmst ihn nicht?! Das war für mich nicht möglich. 

Wie wird der Hof heute, in Ihren Händen, geführt?

Begonnen haben wir 1993 mit Kühen und Schweinen, haben dann den Hof auf Schweinemast, Ackerbau und Forstwirtschaft umgestellt und im Vorjahr wurde die Schweinehaltung aufgegeben. Unsere Kinder werden die Landwirtschaft viehlos weiterführen. Was wir anbauen, sind Soja, Mais, Weizen, Zuckerrüben, Mohn und Triticale (Anm. d. Red.: eine Getreidekreuzung aus Weizen als weiblichem und Roggen als männlichem Partner).

Und das geht sich finanziell aus?

Wir betreiben den Betrieb im Vollerwerb und durch die Vermietung von Wohnungen und den Zuerwerb meines Mannes können wir ein vernünftiges Familieneinkommen erzielen.

2020 wurde Ihr Haus anlässlich der OÖ Garten-Trophy als „schönstes Bauernhaus“ gekürt. Wie kam es zu dem Preis?

In einem lockeren Moment habe ich mich beworben und gedacht: „Warum nicht?“ Dann wurde ich zur Bezirkssiegerin gekürt, und plötzlich kam eine ganze Kommission, Karl Ploberger inklusive! Das war eine totale Aufregung und schlussendlich trugen wir den Landessieg davon. Das ist die schönste Bestätigung für all die Arbeit, die man sich macht. 

Die Liebe zum Garten hatten Sie immer schon?

Meine Mama, die bei uns im Haus lebt, hat mir den grünen Daumen vererbt. Doch während es bei ihr das Gemüse ist, sind es bei mir Blumen, die mich begeistern. Als ich klein war, ist die Mama mit mir in den Garten gegangen, hat mir gesagt, ich soll auf die Details schauen, das vermeintlich Unsichtbare entdecken. Sie hat mir also die Augen für Details geöffnet. 

Wieso ist Ihr Haus das Schönste? Und was macht Ihr Haus für Sie zum Zuhause? 

Wenn ich in den Hof fahre, denke ich mir oft, wie schön es hier ist. Im Winter sind es die grünen Sträucher, im Rest des Jahres alles Blühende, die Schaukeln … unser Garten ist eine Wohlfühloase! Im Sommer leben wir draußen, da wird der Garten zum zweiten Wohnzimmer. Und es tut gut, nach getaner Arbeit hier wieder Kraft zu tanken. 

Immer mehr Menschen bauen selbst auf kleinsten Flächen Obst, Gemüse und Blumen an. Welchen Tipp haben Sie für Hobbygärtner? 

Gärtnern muss nicht teuer sein! Ich vermehre meine Hortensien und Kirschlorbeer selbst, pflanze Stecklinge meiner eigenen Pflanzen. Natürlich dauert das seine Zeit, aber die Freude über selbst gezogene Pflanzen ist riesengroß! 

Könnten Sie sich ein Leben in der Stadt vorstellen?

Zeitweise schon. Ich bin ein Kulturmensch, liebe das Theater und gehe mit meinem Mann regelmäßig auf Kulturveranstaltungen. Das Stadtluft-Schnuppern ist einfach eine schöne Abwechslung. Und doch bin ich um Lebens- und Wohnraum auf dem Land dankbar. 

Das Stadtluft-Schnuppern ist einfach eine schöne Abwechslung. Und doch bin ich um Lebens- und Wohnraum auf dem Land dankbar.

Christine Seidl

Hat der Preis fürs schönste Haus Wellen geschlagen? 

Ja, was mich selbst verwundert hat. Sogar eine Gartenreise, organisiert vom Bildungshaus Puchberg, war im Juni bei mir zu Gast. Die Damen und Herren waren begeistert von den nett arrangierten Sitzplätzen, der Stilsicherheit und natürlich vom Kuchenbuffet. 

Wie sieht ein Tag in Ihrem Leben und auf Ihren Feldern aus?

Das ist absolut saisonabhängig. Wir arbeiten oft in Projekten, an speziellen Wochen trifft man uns meist auf den Feldern, an anderen kaum, da wir beispielsweise mit der Renovierung der Wohnungen beschäftigt sind. Mal sitze ich am Traktor, dann wieder vor dem Laptop für die Buchhaltung. Als „Bodenpersonal“ bin ich vor allem auch für die Sauberhaltung des Hofes zuständig. Diese Vielfalt gibt mir Energie. 

Stichwort Energie: In den letzten Monaten sind die Preise ja enorm gestiegen bzw. gleichbleibend hoch. Sie betreiben gemeinschaftlich eine Biogasanlage. Wie kann man sich das vorstellen?

2001 war quasi in Aspach der Startschuss mit einem Nahwärmeprojekt, mit dem ein Großteil der öffentlichen Gebäude mit Wärme versorgt wird. Grund für das Projekt war, dass in unserer waldreichen Region viel Schadholz anfällt, das einen weiteren Nutzen bekommen sollte. Dann wurde das Rehabilitationszentrum Revital Aspach angeschlossen, die Hackschnitzelheizung wurde schnell zu klein. Und die Frage stand im Raum: ein neuer Kessel oder eine völlig andere Richtung? 

Und Sie haben sich für die andere Richtung entschieden …

Genau, für eine Biogasanlage. Gewisse Flächen durften damals nicht bewirtschaftet werden, aber man konnte sie für die Stromerzeugung nutzen. So haben sich acht Betriebe zusammengeschlossen, um auf 1,8 Prozent der Fläche von Aspach Strom und Wärme für die ca. 1.000 Haushalte der Gemeinde zu erzeugen. Damit bleibt die Wertschöpfung im Ort, es muss kein Erdöl hertransportiert werden und viele Einwohnerinnen und Einwohner Aspachs können in gewisser Weise autark leben. 

Für Laien gesprochen: Wie funktioniert so eine Anlage genau? 

In große Silos kommen organische Abfallprodukte, Substrate aus Mais und Ganzpflanzen, Reststoffe wie Molke, Restgrünland … In den großen Behältern wird der organische Mix mit Gülle vermengt, anschließend spielen Millionen Bakterien die Hauptrolle. Die Bakterien produzieren Methan, und damit wird ein Gasmotor mit einem Generator betrieben. Dabei wird Strom erzeugt, die Abwärme des Motors wird ins Nahwärmenetz eingespeist. Damit wird beides genutzt: Strom und Wärme, eine wirklich tolle und nachhaltige Sache! 

Sollten alle Bauern und Bäuerinnen auf mehr Autarkie bei Energiefragen setzen?

Das ist gerade ein aktuelles Thema in der Landwirtschaftskammer. Der energieautarke Bauernhof ist sehr wohl ein Zukunftsthema, das immer mehr Wichtigkeit bekommt. Sich selbst mit Energie versorgen können per Photovoltaik oder Biomasse, Energie speichern … hier wird sich noch viel tun. 

Nicht nur privat, sondern auch politisch engagieren Sie sich stark für die Landwirtschaft: Was macht man so als Landwirtschaftskammerrätin?

Ich bin seit zwanzig Jahren in der Interessensvertretung für die Bäuerinnen und Bauern und als deren Sprachrohr tätig. Wenn wir uns nicht füreinander einsetzen, wer dann? Manchmal ist es eine Gratwanderung, man kann leider nicht immer alles umsetzen. Eine heiße Debatte sind derzeit die Preise, überall heißt es, Bauern bekommen zwanzig Prozent mehr Einkommen. Ja, wir sind nach Verlusten jetzt wieder am Niveau vom Jahr 2017! Natürlich ist auch für uns vieles teurer geworden, oft weit über die zwanzig Prozent hinaus. Und von den Preisen, die im Geschäft verlangt werden, kommt nur ein kleiner Teil bei uns an. Vom „Drauflegen“ kann auch ein Bauer nicht leben. 

Haben wir gerade schwierige Zeiten für die Landwirtschaft? Wie ist die Stimmung unter den Landwirten?  

Das ist sehr abhängig von der persönlichen Situation. Wir haben immer herausfordernde Zeiten und müssen mit Veränderungen umgehen. Zu Coronazeiten war die Direktvermarktung stärker nachgefragt. Das ist gerade wieder stagnierend, natürlich sehr schade. Es braucht generell mehr Wertschätzung für Lebensmittel und die Arbeit der Bauern.

Das Hofsterben ist ja derzeit ein großes Thema. Ist es wirklich so schlimm um unsere Bauern und Bäuerinnen bestimmt? 

Ich glaube, das Thema ist derzeit groß, weil immer irgendwo auf der Welt billiger produziert werden kann und durch globalen Handel die billigste Ware oft den Preis bestimmt. Landwirte müssen ein Einkommen erzielen, weil sonst suchen sie sich eine andere Arbeit. Dass Regionalität und Saisonalität für die ganze Gesellschaft zahlreiche Vorteile hat, liegt auf der Hand. Aber durch Billigkäufe von Fleisch aus dem Ausland etc. werden viele Hoftore für immer zugesperrt.

Und wie würden wir es schaffen, der Misere zu entkommen? 

Es tut sich was. Die Jungen werden mutiger, besetzen Nischen – und diese Nischen haben Zukunft. Ich staune oft, wie innovativ junge Hofübernehmer sind, welche guten Ideen sie haben.

Was bewegt Sie im Moment am meisten?

Abseits von den Sorgen aller Menschen derzeit, die auch uns treffen, unsere Hofnachfolge. Wir haben uns vor Kurzem mit unseren vier Kindern an den Tisch gesetzt und überlegt, wer den Hof einmal übernehmen wird. Die Meinungen der Kinder angehört. Nachgedacht. Dann hat sich herauskristallisiert, dass unsere Tochter Anna und ihr Mann Hans in ein paar Jahren gerne übernehmen möchten. Beide werden ihrem Beruf nachgehen, und trotzdem hilft jeder am Hof mit – die Jungen und die Alten. Ich weiß mein Lebenswerk und das der Generationen vor mir in guten Händen, darüber freue ich mich sehr. 

Wer ist der Mensch Christine Seidl abseits von Hofbesitzerin und Landwirtschaftskammerrätin noch?

Eine, die gerne auf Achse ist und ihre Finger bei kulturellen Ereignissen im Spiel hat. Für meine Arbeit beim Musikformat „Europäischer Konzertsommer Aspach“ war ich lange Zeit für die Programmgestaltung zuständig und habe dafür den Konsulententitel bekommen, eine schöne Erfahrung! Jetzt singe ich in zwei Chören mit und bin ehrenamtlich im Büchereiteam von Aspach. Wenn jeder ein bisschen etwas für die Gesellschaft leistet, profitieren alle davon, so meine Meinung. Für mich selbst ist Weiterbildung ein großes Thema, ich habe die Ausbildung zur Seminarbäuerin, Mentaltrainerin und in Holistic-Pulsing gemacht. Und ich werde in ein paar Monaten zum ersten Mal Oma, auf diese wunderschöne Aufgabe freue ich mich ganz besonders!

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