Barbara Schöfl © Tamás Künsztler

Barbara Schöfl über Mental Health in Unternehmen

Viele Menschen durchleben herausfordernde Zeiten im Laufe ihrer Erwerbstätigkeit

4 Min.

HR-Expertin Barbara Schöfl leitete acht Jahre lang internationale Teams bei Runtastic und adidas © Tamás Künsztler

Von Kopfschmerzen, Stress und Demotivation bis hin zum Burnout – viele Menschen durchleben herausfordernde Zeiten im Laufe ihrer Erwerbstätigkeit. Mental Load – die unsichtbare Last, die meistens Frauen im Beruf und Privatleben tragen – bleibt in vielen Unternehmen nach wie vor ein Tabuthema. Während es lange hieß, ausharren und wegstecken, rückt das Thema „Mental Health“ im Arbeitskontext zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit. Besonders Familienbetriebe, in denen berufliche und private Verantwortungen stark miteinander verschmelzen, stehen vor einzigartigen Herausforderungen.

Wie sich dieses Spannungsverhältnis lösen lässt, damit sowohl das Wohlbefinden der Mitarbeitenden als auch der langfristige Erfolg des Unternehmens gewährleistet sind, erklärt HR-Expertin Barbara Schöfl im Interview.

Frau Schöfl, mentale Gesundheit war lange ein Tabuthema, rückt jedoch zunehmend in den Fokus. Wie haben Sie diese Entwicklung als Vice President für HR wahrgenommen?
Für mich hatte das Thema schon immer einen hohen Stellenwert: Wir müssen Mitarbeitende in ihrer Gesamtheit ernst nehmen, anstatt schwierige oder tabuisierte Themen auszuklammern. Die Corona-Krise hat die Notwendigkeit umfassender Maßnahmen offensichtlich gemacht. Seitdem gibt es keine Ausrede mehr, mentale Gesundheit nicht ernst zu nehmen. Aber es bleibt noch viel zu tun – erst wenn wir psychische Erkrankungen genauso offen ansprechen wie einen gebrochenen Fuß, haben wir echte Stigmata abgebaut.

Studien zeigen, dass Frauen häufig erst dann Führungsverantwortung bekommen, wenn das Unternehmen bereits in einer Krise steckt.

Barbara Schöfl

Konzerne und große Unternehmen können mit Betriebskindergärten und Gesundheitsprogrammen viel für ihre Mitarbeitenden tun. Doch in Österreich sind 99,7 Prozent der Unternehmen KMUs, davon 92 Prozent Kleinstbetriebe mit weniger als zehn Beschäftigten (Statista, Stand 2022). Wie können gerade diese kleineren Betriebe – oft mit begrenztem Budget – ihre Mitarbeitenden bestmöglich unterstützen?
Es muss nicht immer teuer sein. Das Wichtigste ist eine Unternehmenskultur, die mentale Gesundheit ernst nimmt, und Führungskräfte, die als Vorbilder agieren. Maßnahmen müssen also nicht immer kostenintensiv sein, um effektiv sein zu können. Interessanterweise werden Familienfreundlichkeit und mentale Gesundheit in kleineren Unternehmen oft besser umgesetzt. Warum? Weil feste Strukturen zwar Stabilität bieten, aber auch zur Bequemlichkeit verleiten. Wer sich darauf ausruht, verpasst die Chance auf echte Verbesserungen.

Frauen tragen neben ihrem Job meistens auch die Hauptverantwortung für Familie und Organisation. Wie können Unternehmen gezielt helfen?
Als Gesellschaft müssen wir Männer für das Thema an Bord holen (Stichwort Verantwortung übernehmen und Allyship), das gilt genauso für Arbeitgeber. Konkret braucht es flexible Arbeitszeiten, die tatsächlich gelebt werden, Teilzeitmodelle auf allen Hierarchieebenen ohne Karrierenachteile und eine Normalisierung von Väterkarenzen. Zudem braucht es aktives Karenzrückkehrmanagement – fragt eine Mutter in eurem Umfeld, wie das bei ihr ablief. Neben finanziellen Zuschüssen für Kinderbetreuung oder Betriebskindergärten sollten Unternehmen Mental Load aktiv anerkennen. Das kann durch Workshops, Coachings oder anonyme Feedbackmöglichkeiten geschehen. Wichtig ist, dass wir das Thema offen ansprechen.

Barbara Schöfl © HR Inside Summit
HR Expertin Barbara Schöfl ist auf Veranstaltungen wie dem „HR Inside Summit“ und auf diversen Podiumsdiskussionen anzutreffen. © HR Inside Summit

Mehr als die Hälfte der Unternehmen in Österreich sind Familienbetriebe. Welche Herausforderungen ergeben sich aus der engen Verflechtung von Familie und Beruf?
Ein zentrales Thema sind der oft hohe emotionale Druck sowie Rollenkonflikte: Verantwortungen im beruflichen und privaten Bereich überschneiden sich, was die Abgrenzung erschwert. Kommen dann noch Konflikte zwischen Familienmitgliedern hinzu, können unklare Hierarchien oder ungleiche Behandlung die Situation verschärfen. All dies wirkt sich auch auf den nicht-familiären Teil der Belegschaft aus.

Welche Überlegungen und Gespräche sind wichtig, wenn man in der Familie zusammenarbeitet bzw. wenn die junge Generation nachfolgt?
Eine erfolgreiche Zusammenarbeit innerhalb der Familie erfordert, dass grundlegende Fragen im Voraus und umfassend geklärt werden: Das bedeutet Rollen und Verantwortlichkeiten klar definieren sowie die Trennung von Arbeits- und Privatleben sicherstellen. Weiters sollte man Entscheidungsprozesse, Konfliktlösungsstrategien und alle strategischen Themen, die man mit anderen Geschäftspartnern und -partnerinnen auch vertraglich regeln würde, festlegen. Das klingt einfacher als es ist, daher sollte man nicht zögern, Unterstützung von der Personalabteilung oder einer externen Beratung in Anspruch zu nehmen.

Stehen Männer und Frauen in Familienbetrieben unter demselben Druck?
Nein. Männern wird oft automatisch mehr zugetraut, während Frauen sich erst beweisen müssen. Studien zeigen, dass Frauen häufig erst dann Führungsverantwortung bekommen, wenn das Unternehmen bereits in einer Krise steckt. Die Frage bei Männern lautet oft: „Was wird er als Nächstes erreichen?“ – während Frauen sich mit „Kann sie das überhaupt? Wer kümmert sich um die Kinder?“ konfrontiert sehen.

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