Alles begann mit einem Mokassin auf Mykonos…

Zu Besuch im ersten Linzer Schuhmuseum.

12 Min.

© Thom Trauner

Siegfried Hain (62) hat Anfang des Jahres das erste Linzer Schuhmuseum eröffnet. Er sammelt seit Jahrzehnten historische Schuhe und zeigt seine beeindruckende Sammlung nun in der Bischofstraße 9 in Linz. Wir haben ihn in seiner Werkstätte besucht und viel über Schuhe, das Schuhmacherhandwerk und den Beginn seiner Leidenschaft erfahren. 

Vor 40 Jahren im Griechenlandurlaub war es um Siegfried Hain geschehen. Der damals Anfang Zwanzigjährige sah einem Schuhmacher beim Mokassins-Nähen zu und war sofort fasziniert! Seit dieser schicksalhaften Begegnung ist der Linzer dem „Schuhvirus“ verfallen, erzählte uns der mittlerweile Vierfach-Papa im Interview. Er schmiss seinen Job in Linz, blieb auf der Insel und ging seiner Leidenschaft – dem Schuhemachen – nach. Von Mykonos über Kreta bis Santorin bereiste der Mokassins-Macher aus Linz die griechischen Inseln, stellte die schicken Lederschuhe her und verkaufte sie am Strand. Später ging die Reise nach Neapel, wo er bei einem italienischen Meister das Handwerk lernte. Worauf es bei einem guten Schuh ankommt und wie sich die Geschichte der Schuhmacher in Linz über die Jahre entwickelt hat, erzählte er uns bei einem Rundgang durch das Schuhmuseum in Linz.  

Das Schuhmuseum Linz zeigt mit über 800 Exponaten eine spannende Reise in die Vergangenheit. © Thom Trauner

Herr Hain, seit wann sind Sie Schuhmacher und was hat Sie dazu inspiriert?

Schuhmacher bin ich seit 1985, also schon fast 40 Jahre. Ich habe davor in der damaligen VÖEST (heute: voestalpine AG) in Linz eine Lehre als Werkzeugmacher begonnen. Das war eine super Ausbildung, bei der ich auch viel Handwerkliches gelernt habe, von dem ich bis heute profitiere. Dann kam es aber doch anders … 

Was ist passiert? 

Ich war mit meinen Freunden auf der griechischen Insel Mykonos auf Urlaub. Da habe ich jemanden gesehen, der Mokassins-Schuhe selbst gemacht hat. Ich war fasziniert und richtig im „Schuhfieber“ und wollte unbedingt auch so ein Paar Mokassins haben! Der Mann sagte, leider habe er keine Zeit für mich, weil er so viel Arbeit hat. Ich blieb jedoch hartnäckig, und er meinte dann aus Spaß, ich könnte mir ja selber welche machen. Und das hab ich dann einfach probiert! 

In den 1930er- Jahren gab es 340 Schuhmacher in Linz. Heute sind es vielleicht noch zwei oder drei.

Sie haben sich im Urlaub selbst Mokassins genäht? 

Ja, der Schuhmacher hat mich damals ausgelacht und mir ein bisschen Leder mitgegeben. Ich bin damit ins Hotelzimmer und hab es einfach ausprobiert. Da ich schon immer handwerklich begabt war, habe ich tatsächlich einen Schuh zusammengebracht. Ich bin dann wieder zurück zu ihm und er war begeistert, denn fürs erste Mal habe ich mich wirklich nicht schlecht angestellt (lacht). Dann hat er mich noch einen zweiten Mokassin machen lassen. Meine Freunde waren natürlich nicht so begeistert. Die wollten ja den Urlaub genießen und mir nicht nur beim Schuhmachen zuschauen. Aber mich hat der „Schuhvirus“ einfach gepackt … 

Wie ging es dann weiter? 

Ich habe mich dazu entschieden, auf Mykonos zu bleiben und weiterhin Mokassins zu machen (lacht). Eigentlich hätte ich nach dem Urlaub wieder zurück in die Voestapine in die Arbeit gehen sollen. Meine Freunde sind aber alleine heimgeflogen und ich habe meinen Job gekündigt, bin bis Ende der Saison geblieben und habe Schuhe gemacht. Meine Eltern sind damals aus allen Wolken gefallen (schmunzelt). Ich habe das drei Jahre so durchgezogen: Jeden Sommer bin ich auf die griechischen Inseln zurückgekehrt, um Mokassins zu machen. Das war eine super Zeit! Wenn ich am Ende der Saison wieder nach Hause zurückkam, braun gebrannt und mit langem Bart, hat mich meine Mama oft gar nicht wiedererkannt (lacht). 

© Thom Trauner

Das klingt nach einem abenteuerlichen Aussteigerleben. Konnten Sie in Linz dann auch Mokassins verkaufen? 

Nein, im Winter brauchte die in Linz keiner. Deswegen bin ich zu den Schuhmachern in Linz und habe gefragt, ob ich bei ihnen lernen kann, wie man Schuhe macht. Jeder hat mir davon abgeraten. Das war damals schon ein aussterbender Beruf und die meisten Schuster haben nur mehr Reparaturen gemacht. Das hat mich natürlich demotiviert, aber als ich dann auf einem Dachboden in Linz einen ganz alten historischen Schuh mit einer geheimnisvollen Nachricht gefunden habe, war ich wieder voll im „Schuhfieber“. Das war mein erster Fund, seitdem sammle ich historische Schuhe.

Es gab also keine Chance auf eine Schuhmacherausbildung für Sie? 

Ja, das war damals in Linz sehr schwer. Ich bin dann nach Italien, nach Neapel, gefahren und hab mir einen Schuster gesucht und gefragt, ob ich ihm helfen kann. Der war glücklich, weil auch er ganz viel Arbeit hatte (lächelt). Ich habe sehr viel gelernt dort. Lernen am Objekt quasi. Auch in Linz habe ich bei den verschiedenen Schustern mitgeholfen und gelernt. Aber leider alles ohne Zeugnis. 

Sie haben dann eine Schuhmacherwerkstatt in Linz übernommen. Wie hat das geklappt? 

Als ich von Italien zurück nach Linz gekommen bin, hat damals die Wirtschaftskammer gesagt: „Was tun wir denn mit dir, du machst so gute Schuhe, aber du hast keine Lehre gemacht.“ Sie haben dann versucht, eine Extraprüfung für mich in Wien zu organisieren. Das Handwerk habe ich ja sehr gut beherrscht, mir fehlte nur „das Papier“ dazu. Als auch das nicht klappte, weil sie keinen Zweitprüfer aufstellen konnten, haben sie mir dann aus Nachsicht, aufgrund meiner jahrelangen Erfahrung und Expertise, den Gewerbeschein gegeben und ich konnte meine eigene Werkstatt aufmachen.

Meine Freunde sind heimgeflogen, ich habe meinen Job gekündigt, bin geblieben und habe Schuhe gemacht. Meine Eltern sind aus allen Wolken gefallen …

Wie hat sich das Schuhmacherhandwerk in Linz über die Jahre verändert? 

Es ist eine sehr rückgängige Branche. In den 1930er-Jahren hat es 340 Schuhmacher in Linz gegeben. Heute sind es vielleicht noch zwei, drei und auch die Zubehörhändler haben alle aufgehört. Ich hab noch viel Altbestand an Zubehör von Schuhmachern übernommen, als diese aufgehört haben. Die Sachen kriegt man heute gar nicht mehr. 

Welche Leistungen bieten Sie in Ihrer Schuhmacherwerkstatt an?

Wir bieten Schuhreparaturen aller Art an. Also von Lederschuhen über Bergschuhe, Kletter- und Boulderschuhe bis hin zu Reitstiefeln und Taschenreparaturen. Auch neue Schuhe nach Maß biete ich an. Aber da ich so viel Arbeit mit den Reparaturen habe und jetzt auch noch das Schuhmuseum betreibe, bleibt mir dafür kaum noch Zeit. Meine Gesellen sind alle bereits in der Pension und es kommt auch keiner mehr nach. Ich bin jetzt alleine hier. 

© Thom Trauner

Wie lange dauert es, ein Schuh nach Maß zu machen und wie viel kostet eine Maßanfertigung?

Das kann man nicht pauschal sagen. Wenn man gut ist und permanent dran arbeitet, dann geht es schon schnell. Aber dadurch, dass man das Leder über den Leisten ziehen muss und danach abwarten muss, bis das Leder ausgelegt und zur Ruhe gekommen ist, muss man dem Schuh dazwischen immer eine Pause geben. Nach ein paar Tagen kann man wieder weitermachen. Schuhe herzustellen ist ein Kunstwerk. Preislich kann man die Arbeitszeit eigentlich gar nicht kalkulieren. Auch die Materialkosten explodieren. Ich zahle jetzt das Doppelte für das Leder als noch vor ein paar Jahren. Meine handgemachten Schuhe kosten ca. 500 bis 800 Euro pro Paar. 

Woher beziehen Sie das Leder? 

Das Schuhleder ist hauptsächlich aus England. Die Engländer haben noch eigene Manufakturen und legen sehr viel Wert auf Qualität und gute Schuhe. In Italien hingegen legen sie eher Wert auf die Optik und das Design. 

Was ist der Vorteil von handgemachten Schuhen nach Maß?

Das große Missverständnis liegt darin, dass die Menschen glauben, nur wenn man Probleme mit den Füßen hat, braucht man Schuhe nach Maß. Das ist die Arbeit eines Orthopäden, aber nicht des Schuhmachers. Der Schuhmacher macht einen guten Schuh für einen gesunden Fuß. Ein großer Vorteil von handgemachten Schuhen sind die Materialien, denn es ist wichtig, dass der Schuh atmet. Im Schuhhandel werden heute fast alle Schuhe aus Plastik gemacht. Jeder Mensch schwitzt circa einen Eierbecher Schweiß am Tag in seinen Schuh. Wenn man Kunstschuhe an hat, kann der Schweiß nicht raus und geht in den Fuß hinein und das ist gesundheitsgefährdend. Schweißfüße gibt es in Lederschuhen eigentlich nicht. Ein weiterer Vorteil ist die Nachhaltigkeit: Ein echter Lederschuh besteht zu 100 Prozent aus Leder – Futterleder, Zwischenleder, Brandsohlenleder, Laufsohlenleder – und das verrottet einfach. Ein Kunstlederschuh bleibt nach 400 Jahren immer noch bestehen. Außer man verbrennt ihn und gibt die ganzen giftigen Gase in die Luft ab. Denn gerade in der Sohle sind viele Chemikalien und Weichmacher. Ein weiterer Vorteil ist die Passform und der Tragekomfort. Mit den ganzen schlechten Schuhen, die man heute kaufen kann, macht man sich die Füße kaputt. Aber auch Kopfweh, Verspannungen und so weiter können von schlechten Schuhen kommen. 

Bekommt man heute überhaupt noch qualitative Schuhe von der Stange?

Heute ist fast alles Plastik. Wenn man sich die Schuhe aus den 1990er-Jahre anschaut, ist das irre, was sich da getan hat. Vielleicht ist das Design nicht mehr so in, aber die Qualität der Schuhe war noch ganz anders. Heutzutage ist das Design das Entscheidende und auf die Qualität wird gar nicht mehr geachtet. Es gibt auch heute Unternehmen, die ordentliche Schuhe herstellen, mit guten Materialien und in Europa produziert. Viele Leute behaupten, das können sie sich nicht leisten. Aber ein Handy um 800 Euro kaufen sie sich schon. Die Wertigkeit ist einfach nicht da. Unter welchen Bedingungen der Schuh in Bangladesch, China oder Indien gemacht wurde, ist den meisten egal, Hauptsache das Design passt. Das finde ich traurig und da möchte ich die Menschen ermutigen, sich mehr mit der Herkunft und Qualität zu befassen. Der Umwelt, den Menschen und seinen eigenen Füßen zuliebe. Und: Schmeißt die Schuhe nicht weg, wenn sie kaputtgehen, sondern lasst sie reparieren! 

Kopfweh und Verspannungen können von schlechten Schuhen kommen.

Sie bieten auch Schuhpflegeseminare an, was kann man sich darunter vorstellen?

Da sind wir eine lockere Runde, so um die zehn Leute, und alle nehmen ihre Lieblingsschuhe mit. Wir nehmen komplett das ganze Innenleben der Schuhe raus und reinigen sie mit einer eigenen Zitronenlösung von allen Bakterien, damit sie wieder gut riechen, und dann wird jeder Schuh aufbereitet und aufpoliert. Ich erkläre meinen Teilnehmenden auch, worauf man beim Schuhkauf achten sollte und wie man einen guten Schuh erkennt. Es ist auch eine Besichtigung des Schuhmuseums dabei.

Sie fertigen und reparieren nicht nur Schuhe, Sie sammeln sie auch und zeigen Ihren Fundus seit Anfang des Jahres im Schuhmuseum in Linz. Wie wählen Sie die Exponate für das Museum aus?

Ich habe die Schuhe mein ganzes Leben lang aus Österreich, Europa und darüber hinaus zusammengesammelt. Mir ist wichtig, dass ich eine Geschichte über sie erzählen kann, denn mich hat schon immer die Story dahinter interessiert. In den 40 Jahren, in denen ich jetzt schon historische Schuhe sammle, habe ich mir mittlerweile ein gutes Netzwerk aufgebaut. Ich werde angerufen, wenn irgendwo eine alte Villa oder ein Vierkanthof aufgelöst wird, auf dem noch historische Schuhe im Dachboden liegen. Da ruft dann auch mal die Spanische Hofreitschule an, wenn sie alte Reitstiefel finden (lächelt). 

Gibt es Schuhe, die eine besondere Rolle in der Geschichte Oberösterreichs spielen?

Typisch oberösterreichisch sind zum Beispiel die „Holzbommerl“. Das war ein typisch oberösterreichischer Schuh, den viele Leute noch aus ihrer Kindheit oder von ihren Eltern kennen. Die habe ich auch hier im Museum ausgestellt. Sie schauen ein bisschen so aus wie Clogs. Die „Holzbommerl“ wurden in der Familie weitergegeben. Wenn ein Kind rausgewachsen ist, hat der Schuhmacher sie aufbereitet und der Nächste hat sie wieder getragen. 

Wir haben bei unserem Besuch im Schuhmuseum Linz viel von Siegfried Hain gelernt. 

Wussten Sie … 

… dass der Begriff ein „Ei(t)zerl“ (= ein bisschen) vom Schuhmacher kommt?

Wenn die Schuhe ein bisschen zu klein geraten waren, hat man sie das nächste Mal ein „Ei(t)zerl“ größer gemacht. Das Wort kommt von „Alzerl“, einer Abwandlung des italienischen „alza“, das die dünne Lederauflage, die der Schuster auf die Leisten gesetzt hat, um die Schuhe größer zu machen, bezeichnet.

… woher der Ausdruck „Schuhe eingehen“ kommt?

Früher gab es keinen linken und rechten Schuh, sondern beide Schuhe waren einfach ident. Erst nach längerem Tragen der Schuhe – also dem Eingehen – verformten sie sich und man erkannte, welcher der linke und welcher der rechte Schuh ist. 

… woher der Ausdruck „auf Augenhöhe sein“ kommt?

Früher wurden ganz junge Mädchen mit erwachsenen Männern verheiratet. Gerade im asiatischen Raum wurden dafür „Hochzeitsschuhe“, also richtige Holzstützen aufgestellt (mit denen man nicht gehen konnte), damit die Mädchen ihrem Bräutigam bei der Hochzeit „auf Augenhöhe“ begegnen konnten. 

… was der Spruch „Schuster, bleib bei deinem Leisten!“ bedeutet?

Die Leisten sind die Holz-formen, um die das Leder gespannt wird, um einen Schuh zu fertigen. Das heißt, wenn man keine Leisten hatte, konnte man keine Schuhe machen, auch wenn man der beste Schuhmacher der Welt war. Im übertragenen Sinn heißt es also: Bleib bei dem, was du kannst! 

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