Christoph Teller über die Scheinheiligkeit der Konsumenten

Preis versus Nachhaltigkeit im Einkauf

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Univ.-Prof. Dr. Christoph Teller, Vorstand des Instituts für Handel, Absatz und Marketing an der Johannes Kepler Universität Linz © Shutterstock

Bio, fair, nachhaltig und regional muss es sein! Und doch ist es beim Einkaufen für die Mehrheit letztendlich der Preis, der zählt. Universitätsprofessor für Marketing- und Handelsmanagement Christoph Teller über die Diskrepanz zwischen Konsumenteneinstellungen und tatsächlichem Kaufverhalten.

Ein Gespräch mit Christoph Teller

Eine vom Institut für Handel, Absatz und Marketing (IHaM) der Johannes Kepler Universität Linz durchgeführte Onlinebefragung unter 1.000 österreichischen Konsumentinnen und Konsumenten zwischen 16 und 74 Jahren kam zu einem erstaunlichen – und doch nicht ganz unerwarteten – Ergebnis: Die Österreicher betonten zwar, dass regional, bio, fair und umweltfreundlich produzierte Waren beim Einkaufen eine ganz wichtige Rolle spielen, verhalten sich beim Einkaufen jedoch anders.

Viele erkennen zwar die Diskrepanz zwischen der geäußerten Einstellung und dem tatsächlichen Kaufverhalten bei anderen, gestehen diese jedoch bei sich selbst nicht ein. Das Fazit des Leiters der Studie Univ.-Prof. Dr. Christoph Teller lautet: „Wir Konsumenten und Konsumentinnen scheinen wahre Meister darin zu sein, unsere eigene Scheinheiligkeit zu leben – oder leben zu müssen.“ Im Gespräch erklärt der Handelsexperte, welche Gründe hinter der Scheinheiligkeit der Konsumenten stehen.

Konsumentenverhalten: Die Diskrepanz zwischen Einstellung und Realität

Herr Professor Teller, welche Rolle spielt das Thema Ethik beim Einkaufen für die Österreicherinnen und Österreicher? Was gibt letztendlich den Ausschlag bei der Kaufentscheidung?
Nicht zuletzt durch die Krisen der letzten Jahre spielt das Thema Ethik beim Einkaufen für immer mehr Österreicherinnen und Österreicher eine Rolle, das zeigen auch unsere Trendstudien der letzten Jahre. Aber, wie wir aus der Konsumentenpsychologie wissen, besteht eine Diskrepanz zwischen den Einstellungen der Konsumentinnen und Konsumenten und ihrem tatsächlichen Kaufverhalten.

Das heißt, trotz des Bekenntnisses vieler Österreicherinnen und Österreicher zu fair, umweltfreundlich, bio und regional bleibt der Preis letztlich das zentrale Kauf­argument. In unserer aktuellen Studie gibt zum Beispiel die Hälfte der Konsumenten für sich selber zu, dass ihnen Qualität zwar sehr wichtig ist, letztlich aber der Preis beim Einkaufen entscheidet. Bio und Regionalität im Einkaufswagen? – Ja, wenn der Preis stimmt!

Die Diskrepanz zwischen Einstellung und Verhalten ist ein Spiegel unserer aktuell wirtschaftlich schwierigen Zeit.

Warum äußern Konsumenten zwar ethische Präferenzen, handeln aber anders?
In der Handelsforschung lässt sich dies über die sogenannte kognitive Dissonanz erklären. Wir Konsumenten sind wahre Meister im Balancieren widersprüchlicher Überzeugungen und Handlungen. Wir reden uns gerne ein, dass wir das „Richtige“ tun – aber dann kommt uns die Realität dazwischen und plötzlich ist das Sonderangebot zu verlockend.

Wirtschaftliche Unsicherheit, die Preissteigerungen beziehungsweise die Teuerungskrise und der damit verbundene wirtschaftliche Druck tragen natürlich massiv dazu bei, dass wir zwar „bio“ denken, aber konventionell kaufen bzw. auch kaufen müssen. Es ist weniger Scheinheiligkeit, sondern mehr eine Form von Überlebensinstinkt im alltäglichen Spagat zwischen Moral und Geldbörse. Oft bleibt uns in der aktuellen Lage gar nichts anderes übrig. Wirtschaftliche Unsicherheit und Sparzwänge tragen erheblich zu dieser Diskrepanz bei.

Gesellschaftliche Entwicklungen: Der Ursprung der Forschung

Was hat Sie dazu veranlasst, dieses Thema zu erforschen? Gaben bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen oder Forschungslücken den Anlass?
Als Handels- und Konsumentenforscher versuchen wir immer, am Puls der Zeit bzw. der Praxis zu sein, und genau dort wird die Frustration spürbar, dass der Preis oft als einziges Entscheidungskriterium dominiert.

Ethik, Bio und Fairness sind in den Köpfen der Konsument zwar angekommen, das ist die positive Nachricht, aber sobald es an den Geldbeutel geht, führt die Kauf­entscheidung über den Preis. Diese Diskrepanz wollten wir tiefer erforschen und mit Daten belegen, um zu verstehen, warum der ethische Anspruch beim Einkaufsverhalten oft auf der Strecke bleibt.

Sie sagen, Sie erheben keinen Zeigefinger, die Studie war also rein deskriptiv, es sollen keine Konsequenzen daraus gezogen werden?
Genau, wir erheben hier keinen Zeigefinger, wir zeigen nur das Phänomen auf, und zwar auf Basis von empirischen Daten. Wir wollen niemanden belehren, sondern machen auf ein Phänomen aufmerksam und belegen es mit empirischen Daten.

Die Diskrepanz zwischen Einstellung und Verhalten ist ein Spiegel unserer aktuell wirtschaftlich schwierigen Zeit. Es geht uns darum, zu verstehen, warum wir handeln, wie wir handeln – und das ohne Schuldzuweisungen. Es gibt keine einfachen Lösungen, aber das Wissen darüber, dass wir alle ein wenig scheinheilig sind, könnte der erste Schritt zu realistischeren und nachhaltigen Konsum­entscheidungen sein.

Strategien für Unternehmen: Wie kann man nachhaltiges Konsumverhalten fördern?

Welche Auswirkungen hat die in der Studie bestätigte Diskrepanz auf Unternehmen und den Handel?
Für Handelsunternehmen ist diese Diskrepanz eine zentrale Herausforderung.
Preiswürdigkeit – das Preis-Leistungs-Verhältnis – spielt gerade im Handel eine zen­trale Rolle. Es geht darum, Konsumenten zu zeigen, dass sie für ihr Geld etwas Wertvolles bekommen.

Doch die Preisgünstigkeit ist in Krisenzeiten noch wichtiger, denn am Ende entscheidet der Preis über Kaufentscheidungen. Wer es schafft, ethische und nachhaltige Produkte zu einem attraktiven Preis anzubieten, hat die besten Chancen, den Markt zu erobern. Denn so sehr uns Werte am Herzen liegen, am Regal gewinnt oft die billigere Option.

Wie kann die Kluft zwischen Konsumenteneinstellung und -verhalten verringert werden? Welche Strategien können/sollten Unternehmen verfolgen, um Konsumenten stärker dazu zu bewegen, tatsächlich nachhaltiger zu konsumieren?
Der Schlüssel liegt in der Kombination von Preis und Ethik. Unternehmen müssen den Konsumenten zeigen, dass sie keinen Kompromiss eingehen müssen. Wer es schafft, den nachhaltigen Mehrwert zu einem attraktiven (nicht zum billigsten) Preis zu bieten, hat das Potenzial, diese Lücke zu schließen.

Außerdem ist Transparenz enorm wichtig. Wenn Konsumenten genau wissen, warum ein Produkt teurer ist – etwa wegen fairer Löhne oder umweltfreundlicher, regionaler Produktion – sind sie eher bereit, den Aufpreis zu akzeptieren. Clevere Platzierungen, ansprechende Verpackungen – alles, was den nachhaltigen Kauf „einfacher“ macht, hilft.

Die Rolle von Gesetzen und Rahmenbedingungen

Spielen auch politische Rahmenbedingungen und Gesetze eine Rolle, um das Konsumverhalten zu beeinflussen? Wenn ja, welche?
Natürlich können Rahmenbedingungen und Gesetze helfen, aber der nachhaltige Erfolg entsteht nicht durch Zwang oder Subventionen. Echte Veränderung kommt vom Markt selbst, wenn Unternehmen es schaffen, Wert zu schaffen, der klar kommuniziert wird, Konsumenten begeistert und positive Emotionen weckt. Der Pull-Effekt muss stärker sein als der Push durch staatliche Maßnahmen.

Die Konsumentin, der Konsument hat die Macht, durch sein Verhalten Veränderungen anzustoßen. Jedes Mal, wenn wir zehn Euro ausgeben, geben wir quasi einen Stimmzettel für Regionalität, Nachhaltigkeit und Fairness ab – oder auch dagegen. Was wir wählen, bekommen wir am Ende, mit allen Konsequenzen. Ein gutes Beispiel ist die asiatische Onlinewelle: Nicht Temu, Shein und Co. sind das vordergründige Problem, sondern dass wir dort einkaufen. Der Markt folgt dem, was wir wollen, und das müssen wir als Konsumenten immer im Blick haben.

Zukunft der Forschung: Weitere Studien zur Konsumpsychologie

Planen Sie in Zukunft weitere Studien zu diesem Thema? Gibt es fortlaufende Forschung zu der Problematik?
Absolut! Wir greifen am Institut für Handel, Absatz und Marketing immer wieder brisante Themen auf und verstecken uns nicht im Elfenbeinturm.

Wir setzen thematisch gezielt dort an, wo es im Handel und Konsum schmerzt und beleuchten auch Dinge im toten Winkel der Forschung. Das ist unser Anspruch. Das Spannungsverhältnis zwischen Einstellung und Verhalten der Konsumenten ist dabei nur ein Aspekt – wir bleiben dran!

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