Silvia Kneissl-Aichinger: Pilgerreise zu sich selbst
Die Trauer und Ratlosigkeit führten zum Jakobsweg
Pilgerreise zu sich selbst © privat
Silvia Kneissl-Aichinger aus Steinbach am Attersee ist eine Frau, die Herausforderungen nicht scheut. Wirtschaftswissenschaftlerin, Persönlichkeitstrainerin – und seit kurzem auch Langstrecken-Pilgerin. Vor neun Jahren überstand sie eine Lungenkrebserkrankung, doch der Schicksalsschlag in diesem Jahr traf die 61-Jährige mitten ins Herz: der plötzliche Tod ihres Mannes. Die Trauer und Ratlosigkeit führten sie schließlich auf den Jakobsweg.
Kein Komfort, nur das Nötigste. Am 15. Juli zog sie die Wanderschuhe an, ließ Salzburg hinter sich und ging los. Ihr Ziel: Santiago de Compostela, 3.000 Kilometer entfernt, quer durch Österreich, die Schweiz, Frankreich und Spanien. „Die ersten 1.300 Kilometer war ich völlig allein unterwegs. Meistens habe ich in Pilgerherbergen mit 150 anderen Personen in einem Raum übernachtet, jeder auf einer einfachen Plastikmatratze. Keine Privatsphäre, kein Komfort – nur das Nötigste.
Erste Frau seit 60 Jahren
Besonders die 1.000 Kilometer in Frankreich blieben ihr im Gedächtnis. „Die Pilgertradition wird dort noch hochgehalten, viele Einheimische kochen für die Pilger. Es war ein Gefühl von Gemeinschaft, das einem Kraft gibt.“ „Man spürt die Wertschätzung in jedem kleinen Moment, und das trägt dich weiter. Ein Satz, den sie auf dem Weg hörte, begleitete sie bis nach Spanien: „Der Weg gibt dir nicht, was du willst, sondern was du brauchst“, sagte ein Mann zu ihr. Anfangs konnte sie nicht viel damit anfangen. Doch nach 2.000 Kilometern, durch Hitze, Wind, Hagel und Regen, durch Einsamkeit und Erschöpfung, wusste sie es:“ Der Weg hat mir, spät aber doch, meinen inneren Frieden gegeben“, erzählt sie.
Der Weg hat mir, spät aber doch, meinen inneren Frieden gegeben.“
Silvia Kneissl-Aichinger
Am 25. Oktober, nach über drei Monaten und 3.000 Kilometern, erreichte Silvia Kneissl-Aichinger schließlich Santiago de Compostela – als erste Frau seit 60 Jahren, die diese Strecke bewältigte. „Mit zwei kaputten Knien“, lacht sie und betont, dass es vor allem eine Frage der mentalen Stärke ist. Jeden Tag ging sie zwischen 30 und 45 Kilometer. „Das ist kein Spaziergang und nichts, was man mit einer Wochenendwanderung vergleichen kann.
Der Empfang am Ziel in Santiago de Compostela war voller Herzlichkeit.
Mit den Worten: „Attenzione, die Frau aus Österreich ist da!“ wurde sie begrüßt. Allerdings waren die Menschenmengen in der Stadt eine Herausforderung nach den stillen Tagen auf dem Weg. Zurück in Österreich muss sie sich erst wieder an den Alltag gewöhnen. Doch der Jakobsweg hat sie verändert. „Ich habe gelernt, dass man das schier Unmögliche erreichen kann und wie wenig man wirklich zum Leben braucht.“ Drei Viertel ihrer Garderobe hat sie seither weggegeben.
Einen Euro pro Kilometer gespendet
Aber Silvia Kneissl-Aichingers Reise ist noch nicht zu Ende. Für jeden zurückgelegten Kilometer spendete sie 1 Euro an ein Caritas-Projekt gegen Frauenarmut. „Es ist mir wichtig, Frauen zu ermutigen, dass sie alles schaffen können.“ Silvia selbst ist das beste Beispiel dafür. Und sie hat bereits den nächsten Weg ins Auge gefasst: Im Mai 2025 will sie sich auf den 2.000 Kilometer langen Franziskusweg von Canterbury nach Rom machen und dazu sogar eine Gruppe von Pilgern zusammenstellen. 2.000 Kilometer gehen, wieder mit leichtem Gepäck, wieder unterwegs, um zu helfen und zu lernen.
____________
Das könnte Sie auch interessieren:
Glück teilen: Menschen, die die Welt verbessern
Martina Gleissenebner-Teskey: Zu Fuß nach Paris