
Retterin oder Partnerin?
Warum ziehen starke Frauen oft schwache Männer an? Beziehungsexpertin Birgit Fortunati erklärt, was dahintersteckt und warum sie ihn nicht retten kann – und auch nicht muss.
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Viele Frauen rutschen in Beziehungen unbewusst in eine Rolle, die gar nicht ihnen gehört: Sie organisieren, bemuttern oder übernehmen Verantwortung, die eigentlich beim Partner läge. Dadurch gehen sowohl Augenhöhe als auch Leidenschaft verloren. Beziehungsexpertin Birgit Fortunati erklärt im Interview, warum diese Dynamik so häufig vorkommt, welche alten Familienmuster dafür verantwortlich sind, und wie wir lernen, uns selbst treu zu bleiben, statt den anderen zu „retten“.
Warum glauben Sie, haben so viele Frauen das Bedürfnis, ihren Partner zu „retten“, obwohl das gar nicht ihre Aufgabe ist?
Mag. Birgit Fortunati: Das hat viel mit unserem Familiensystem und erlernten Mustern und Rollenbildern zu tun. Frauen waren über Jahrtausende die Hüterinnen, Männer die Jäger. Dieses Muster steckt noch immer in uns, in unserem Unbewussten. Dazu kommt, dass viele Frauen von ihren Müttern gelernt haben: „Den Mann erziehe ich mir schon.“ Dieses Denken wurde unbewusst weitergegeben.
Wir lernen durch Beobachtung und wiederholen, was wir gesehen haben. In vielen Familien war es normal, dass die Frau viel schaffen musste und oftmals die Hosen an hatte. Das Problem ist: Frauen übernehmen dadurch oft zu viel Kontrolle und nehmen damit den Männern ihre männliche Energie.
Das klingt sehr drastisch. Was bedeutet das in der Praxis?
Am Anfang stimmt die Polarität meistens: Die Frau ist offen, verspielt, flirty, der Mann ist der Eroberer. Doch im Alltag kippt diese Balance oft – nämlich dann, wenn Frauen zu sehr in die männliche Energie gehen, also ständig im Machen, Organisieren und Kontrollieren sind und Dinge selbst erledigen, wenn es ihnen zu lange dauert. Ein Beispiel aus meinem Leben: Ich habe meinen Mann gebeten, ein Bild aufzuhängen. Er hat es nicht sofort erledigt, also habe ich es selbst gemacht. Jetzt hängt es nicht ganz mittig, und ich hätte besser gewartet.
Wichtig: Es geht nicht darum, dass wir Frauen gewisse Dinge nicht können. Vielmehr geht es darum, Männern ihre Rolle nicht völlig wegzunehmen. Die Folge ist dann, dass er sich zurückzieht. Sie wiederum nörgelt, verliert den Respekt und die Leidenschaft stirbt. Das Ungleichgewicht wird immer größer. Das ist neben Geld tatsächlich einer der häufigsten Trennungsgründe. Denn am Ende hat er zu Hause eine „Mutter“ und sie ein „Kind“.

Warum ziehen gerade starke, empathische Frauen oft Männer an, die schwächer, unsicherer oder emotional instabil sind?
Das ist eine spannende Dynamik, die man mit dem „Motivkompass“ von Dirk Eilert erklären kann. Dieses Modell zeigt, welche Grundmotive Menschen antreiben. Es geht nicht ums Schubladisieren, sondern darum, zu verstehen, wie jemand tickt. Wir ziehen das Gegenteil von uns an, weil es uns ausgleicht. Ich selbst bin extrovertiert und freiheitsliebend. Mein Mann dagegen ist eher introvertiert und mag Sicherheit und Stabilität. Genau diese Gegensätze verbinden. Besonders starke Frauen mit viel Antrieb ziehen deshalb häufig Männer an, die Ruhe und Weichheit mitbringen.
Die Natur prüft schon beim ersten Kuss, ob die Chemie passt – damit ein mögliches Kind das Beste von beiden bekommt. Aber: Damit es funktioniert, müssen beide bereit sein, gemeinsam zu wachsen. Sonst verstärkt sich das Ungleichgewicht. Sie tut immer mehr, und er rutscht immer tiefer in die Passivität.
Frauen spüren sehr genau, wenn etwas nicht stimmt. Aber viele reden es sich schön und hoffen, dass es besser wird.
Mag. Birgit Fortunati
Neigen Frauen generell zu einem unbewussten Helferinnen-Syndrom? Woher kommt das?
Ein Helfer-Syndrom können sowohl Frauen als auch Männer entwickeln. Die Ursache dafür liegt in der Kindheit. Ein Kind hat ein übersteigertes Ego und glaubt, es müsse Mama oder Papa retten – zum Beispiel, wenn die Mutter depressiv war oder der Vater die Mutter gefühlt schlecht behandelt hat. Natürlich gelingt das nicht, aber der Drang bleibt. Später zeigt sich dieses Muster in Berufen, in denen man hilft, oder in Beziehungen, in denen man den Partner „retten“ will. Es ist ein Versuch, das alte Familiensystem ins Gleichgewicht zu bringen. Heilung ist möglich, aber es ist ein Prozess. Schritt für Schritt lernt man dabei, aus dieser Rolle auszusteigen.
Welche typischen Ausreden von Männern begegnen Ihnen bei Ihrer Arbeit immer wieder?
Es gibt einige Klassiker, die Frauen oft erzählen:
- Er zieht andere ständig vor, sie ist nicht seine Nummer eins.
- Er übernimmt nie Verantwortung und entschuldigt sich nicht.
- Er redet schlecht über andere, um sich selbst aufzuwerten.
- Er spielt Spielchen und meldet sich tagelang nicht.
Das sind frühe Warnzeichen. Frauen spüren sehr genau, wenn etwas nicht stimmt. Aber viele reden es sich schön und hoffen, dass es besser wird.
Wenn du merkst, dass er eine ,Baustelle‘ ist, darfst du nicht sein Coach werden. Du verlierst damit Augenhöhe und wirst zur Retterin.
Mag. Birgit Fortunati
Wie erkenne ich, dass ich in einem „Ausreden-Karussell“ feststecke?
Wie gesagt: Frauen haben dafür ein feines Gespür. Aber wir neigen dazu, uns Dinge schönzureden. Wenn man ehrlich bleibt, merkt man oft schon bei der zweiten Ausrede: Das geht sich nicht aus. Ich selbst war einmal in einer toxischen Beziehung. Alles in mir schrie Nein, aber ich bin geblieben – in der Hoffnung, dass es doch noch gut werden würde. Genau das ist dieses „Ausreden-Karussell“. Man hofft auf ein „Wenn-dann“, doch dieser Punkt kommt nie. Deshalb: Wenn du merkst, dass er eine „Baustelle“ ist, darfst du nicht sein Coach werden.
Du verlierst damit Augenhöhe und wirst zur Retterin. Eine Partnerschaft braucht aber Gleichgewicht. Fehlt das Commitment von seiner Seite, ist es besser, loszulassen und Raum zu schaffen für jemanden, der dich wirklich will.
Warum halten wir so hartnäckig an solchen Ausreden fest, obwohl unser Bauchgefühl längst Alarm schlägt?
Das liegt wieder am Familiensystem. Man nennt es auch „emotionales Zuhause“. Wir wiederholen nicht zwingend die Geschichten unserer Eltern, aber die Gefühle, die wir von damals kennen. Vielleicht war man zu Hause nie „gut genug“ oder einer der beiden Elternteile war emotional nicht erreichbar. Diese alten Muster wiederholen wir in Partnerschaften. Man hofft unbewusst: Diesmal werde ich gesehen, diesmal bin ich richtig. Doch dieser Moment kommt nie. Solange man das nicht aufarbeitet, zieht man immer wieder ähnliche Partner an.
Viele Menschen bleiben lieber im vertrauten Drama, weil es ihnen paradoxerweise Sicherheit gibt.
Mag. Birgit Fortunati
Braucht es Mut, sich das eigene emotionale Zuhause anzuschauen?
Viele Menschen bleiben lieber im vertrauten Drama, weil es paradoxerweise Sicherheit gibt. Man bewegt sich erst, wenn die Hoffnung auf etwas Neues größer ist als die Sicherheit im Alten. Man braucht durchaus etwas Mut, aber man wird so sehr belohnt für den Weg, den man geht.
Sie sagen auch, dass es wichtig sei, Standards und Grenzen festzulegen. Wie finde ich heraus, welche das für mich sind?
Standards leiten sich immer von den eigenen Werten ab. Was ist mir wirklich wichtig? Ehrlichkeit, Respekt, Offenheit? Daraus ergeben sich automatisch auch Grenzen – also das, was für mich nicht verhandelbar ist. Um diese Werte klar benennen zu können, ist es allerdings notwendig, mich selbst gut zu kennen.
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