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Pflege in Oberösterreich: Die Zeit drängt!
Anna Ferihumer, Geschäftsführerin der neuen OÖ. Pflege- und BetreuungsManagement GmbH, im Interview
© Shutterstock
Bis 2040 wird sich die Altersstruktur Oberösterreichs nachhaltig verändern. Wie eine neue, von der Abteilung Statistik erstellte Bedarfs-Bevölkerungsprognose zeigt, wird die Zahl der betreuungs- und pflegebedürftigen Menschen ab 60 Jahren von rund 62.650 Betroffenen im Jahr 2023 auf rund 92.100 anwachsen. Das ist eine Steigerung von 47 Prozent! Diese demografische Entwicklung macht es erforderlich, neue Wege zu gehen und neue Schwerpunkte im Management der Pflege zu setzen. Dabei helfen soll die neugegründete Pflege- und BetreuungsManagement GmbH des Landes Oberösterreich. Wir haben mit Geschäftsführerin Anna Ferihumer gesprochen – über innovative Wohnformen, betriebliche Tagesbetreuung von Senioren und warum Japan ein mahnendes Beispiel ist.
Aufgrund der demografischen Entwicklung ist es notwendig, in der Pflege neue Wege zu gehen. Allein im Bezirk Urfahr-Umgebung wird in den kommenden Jahren mit mehr als 700 zusätzlichen Pflegebedürftigen gerechnet. Soziallandesrat Dörfel sagt dazu allerdings, dass nicht sieben neue Heime gebaut werden. Wie wird man das lösen können?
Anna Ferihumer: Tatsächlich ist es so, dass wir bis zum Jahr 2040 eine Steigerung von 47 Prozent bei den pflegebedürftigen Menschen haben werden. Am stärksten betroffen wird der Bezirk Urfahr-Umgebung sein. Dort liegt die Steigerung sogar bei rund 70 Prozent. Wir werden deshalb neue Wege gehen müssen, die auch ungewohnt sein werden. Es wird unter anderem darum gehen, neue Menschen für den Pflegeberuf zu finden, hochqualifizierte internationale Pflegekräfte zu gewinnen und auf neue digitale Assistenzsysteme zu setzen. Das sind zum Beispiel Sturzsensoren im Badezimmer der Großeltern. Wenn jemand stürzt, werden sofort die Angehörigen informiert. Es gibt auch Bewegungsmeldesysteme, die Alarm schlagen, wenn in einer Wohnung über einen längeren Zeitraum keine oder untypische Bewegung stattfindet oder der Ofen angelassen wird. Alle diese Maßnahmen tragen dazu bei, dass die Menschen länger in ihren eigenen vier Wänden bleiben können.
Ein interessanter Ansatz sind innovative Wohnformen, wie Hausgemeinschaften, in denen sich zum Beispiel drei pflegebedürftige Menschen eine 24-Stunden-Personenbetreuerin teilen. Wird sich das schon in absehbarer Zeit umsetzen lassen?
Diese Wohnform befindet sich bei uns noch in der Konzeptionsphase, weil die rechtlichen Voraussetzungen dafür erst 2023 geschaffen worden sind. Seitdem darf eine 24-Stunden-Personenbetreuerin bis zu drei Klienten betreuen. In Deutschland gibt es zum Beispiel auch betreute Wohnformen, bei denen soziale Paten, Angehörige und Nachbarn soziale Aufgaben übernehmen, damit sich die Pflegekräfte noch mehr auf ihre Kernaufgaben konzentrieren können. Das ist gelebte gemeinsame Verantwortung. Eine weitere Möglichkeit, damit vor allem Frauen in ihrem Job vernünftig arbeiten können, ist zum Beispiel eine betriebliche Tagesbetreuung von Senioren – ähnlich wie es jetzt schon die Kinderbetreuung gibt. In der demografischen Entwicklung liegen auch neue Chancen für Unternehmen, etwa zu mehr Arbeitgeber-Attraktivität.
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Sie haben Deutschland angesprochen. Wo sehen Sie sich international nach möglichen Vorbildern um?
Ich schaue sehr bewusst in jene Länder, die uns demografisch ein paar Jahre voraus sind. Dort gibt es schon viele spannende Projekte, an denen wir uns orientieren können. Es gibt aber auch bedenkliche Phänomene, wie etwa in Japan, wo die Seniorenkriminalität massiv angestiegen ist. Die alten Menschen nutzen die Gefängnisse sozusagen als Zufluchtsort. Das ist ein mahnendes Beispiel, in welche Richtung es bei uns nicht gehen soll.
Mitte Februar werden Sie die Geschäftsführung der neuen Pflege- und BetreuungsManagement GmbH übernehmen. Was sind die Hauptaufgaben dieser Gesellschaft?
Es geht in erster Linie darum, die 15 Sozialhilfeverbände zu entlasten. In den vergangenen Jahren ist die Zuständigkeit der Sozialhilfeverbände stetig gewachsen, neue Aufgaben in der Personalentwicklung oder im IT-Management sind dazugekommen. Viele dieser Aufgaben werden künftig bei uns gebündelt, damit sich die Sozialhilfeverbände wieder auf ihre Kernaufgaben, wie den operativen Betrieb der Pflegeheime oder den Ausbau der mobilen Dienste, konzentrieren können. Außerdem gibt es in unserer Gesellschaft drei Schwerpunkte – Personalgewinnung, Innovationsmanagement und Teile des Verwaltungsmanagements.
Ich schaue sehr bewusst in jene Länder, die uns demografisch ein paar Jahre voraus sind. Dort gibt es viele spannende Projekte, an denen wir uns orientieren können.
Anna Ferihumer
Was werden Sie in Ihrer neuen Rolle als Geschäftsführerin als Erstes angehen?
Mein erster Fokus wird auf dem Personalmanagement liegen, um neue Mitarbeiter zu gewinnen. Hier sind wir besonders gefordert. Laut heutigen Berechnungen werden wir allein in den Pflegeheimen bis 2040 etwa 3.500 neue Mitarbeiter brauchen. Da sind die mobilen Dienste, Tagesbetreuung und betreute Wohnformen noch gar nicht mitgerechnet. Es geht darum, neue Mitarbeiter anzusprechen und auch international mehr Pflegekräfte zu gewinnen. Wir arbeiten hier bereits mit den Philippinen zusammen, weil dort die Pflegeausbildung sehr hochwertig ist und somit gut in Oberösterreich anerkannt wird. Außerdem werden wir künftig auch in Kolumbien nach Pflegekräften suchen, da die Pflegeausbildung dort ebenfalls ähnlich wie bei uns ist.
Wie sieht es mit bestehenden Mitarbeitern aus?
Auch hier werden wir natürlich ansetzen, weil wir sehen, dass bei einer hohen Zahl der Mitarbeiterinnen das Beschäftigungsausmaß niedriger als in anderen Branchen ist. Das hängt damit zusammen, dass der Pflegeberuf immer noch weiblich ist und viele Frauen nicht mehr Stunden arbeiten können, weil sie Kinderbetreuungspflichten haben. Wir werden uns viele Maßnahmen anschauen – auch vermeintlich kleine Dinge, deren Auswirkung man aber nicht unterschätzen sollte, etwa den Kontakt zu Mitarbeiterinnen aufrechtzuerhalten, wenn sie schwanger sind. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich weiterhin als Teil des Teams fühlen und nach ihrer Karenz bei ihrem Arbeitgeber bleiben.
Es ist wichtig, über alles nachdenken zu dürfen, weil die Zeit wirklich drängt!
Anna Ferihumer
In welche Richtung soll es langfristig mit der Pflege in Oberösterreich gehen?
Ich denke, dass Pflege nicht nur auf jenen Säulen wie jetzt aufgebaut sein wird. Es wird mehr Formen zwischen Pflegeheimen, informeller Pflege daheim und mobilen Diensten geben – zum Beispiel Nachbarschaftshilfe oder eine Kombination aus mobiler Pflege und 24-Stunden-Betreuung. Diese Maßnahmen sollen kostendämpfend, aber nicht qualitätsdämpfend wirken. Es wird wichtig sein, über alles nachdenken zu dürfen, weil die Zeit wirklich drängt. Wir reden von einem Zeitraum von 15 Jahren bis 2040. Ich habe oft das Gefühl, dass das den wenigsten Menschen bewusst ist. Ebenso wie die Tatsache, dass sich diese demografische Entwicklung auf die gesamte Gesellschaft auswirken wird.
Sie haben bereits Erfahrung im Bereich Pflege. Sie waren bis jetzt im Sozialressort des Landes tätig und haben dort unter anderem die Fachkräftestrategie Pflege betreut. Ist das Thema Pflege so etwas wie ein Herzensthema für Sie geworden?
Ich habe Politikwissenschaften studiert und der Pflege-Schwerpunkt hat sich schrittweise ergeben. Mittlerweile fühle ich mich dem Thema sehr verbunden. Das hat aber auch damit zu tun, dass meine Mama als diplomierte Pflegekraft gearbeitet hat. Wir haben daheim viel darüber diskutiert und das hat mich für meinen Beruf geprägt. Ich habe meine beste Beraterin somit zu Hause!
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