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Empowerment-Workshops zur Stärkung von Mädchen in technischen Berufen, Lehrkräfte bilden ein Mental Health Support Team und stehen Schülerinnen und Schülern bei Stress, Angst und Mobbing zur Seite. Kooperationen mit Firmen sorgen für Praxisnähe. Die HTL Leonding zeigt, wie Schule heute funktioniert.
Schon beim Betreten der HTL Leonding wird klar: Diese Schule tickt anders. Wo man in einer technischen Ausbildungsstätte nüchterne Flure und graue Klassenräume erwartet, empfängt einen eine Atmosphäre, die fast wohnlich wirkt. Überall stehen gemütliche Sitzecken, an denen sich Schülerinnen und Schüler zu Lerngruppen oder einfach zu einem kurzen Plausch zusammenfinden. Zwischen den Gängen blühen Pflanzen, die Räume sind hell und freundlich, und an den Wänden hängen Bilder aus der Medientechnik – ein kreatives Statement, das zeigt: Lernen soll hier inspirieren.
Direktor Richard Kainerstorfer und sein Team haben in den vergangenen Jahren nicht nur das Thema mentale Gesundheit fest im Schulalltag verankert, sondern auch die Umgebung so gestaltet, dass sich junge Menschen wohlfühlen. In den sogenannten Lernarenen gibt es Lernkojen für konzentriertes Arbeiten, daneben mehr als 1.500 EDV-Arbeitsplätze, die für die technische Ausbildung zur Verfügung stehen.

Hausaufgaben im althergebrachten Sinn gibt es in meinem Unterricht nicht mehr. Stattdessen setze ich auf ‚Mitarbeiter-gespräche‘.
Richard Kainerstorfer, Direktor der HTL Leonding
Mädchenanteil 20 Prozent. Rund 1.200 Schülerinnen und Schüler besuchen die HTL Leonding, etwa 20 Prozent davon sind Mädchen. Für sie gibt es eigene Vernetzungstreffen, die Raum für Austausch und gegenseitige Unterstützung bieten. Und weil zur modernen Schulkultur auch Kommunikation gehört, hat die HTL ihren eigenen Podcast ins Leben gerufen: den „Schwammerltalk“, bei dem Schülerinnen und Schüler selbst Themen aufgreifen und diskutieren.
Ein Wendepunkt nach der Pandemie „Das Zurückkehren in den schulischen Alltag nach Corona war für viele Jugendliche eine enorme psychische Belastung“, erinnert sich Kainerstorfer. Leistungsdruck, Zukunftssorgen, aber auch Fälle von selbstverletzendem Verhalten machten deutlich: Hier braucht es mehr als klassischen Unterricht. So entstand das Mental Health Support Team, bestehend aus engagierten Lehrkräften, die sich speziell mit den Themen Stress, Angst, Mobbing oder Trauerfällen auseinandersetzen. In enger Absprache mit Schulärztin, Schulpsychologin, Jugendcoachin und – wenn nötig – externen Stellen wie der Krisenhilfe erhalten Schülerinnen und Schüler so schnelle, niederschwellige Hilfe.
Resilienz aufbauen. Heute sind Mental-Health-Workshops, Anti-Bias-Trainings und Empowerment-Formate konkret im Schulalltag vorgesehen. Direktor Richard Kainerstorfer betont: „Es geht nicht nur darum, Probleme abzufangen, sondern Resilienz und Selbstbewusstsein aufzubauen.“ Besonders stolz ist er auf die Zusammenarbeit mit der FH Oberösterreich. So machte etwa ein Workshop von Assistenzprofessorin Victoria Kaiselgruber unbewusste Diskriminierung sichtbar. Die wissenschaftliche Begleitung durch Anna Christl (Programmierlehrerin an der HTL Leonding) sorgt zudem dafür, dass jede Maßnahme evaluiert und weiterentwickelt wird. Außerdem gibt es mit Professorin Mag. Cornelia Mader eine Mädchen- und Frauenbeauftragte an der HTL.

Mädchen im Fokus. Ein besonderes Anliegen ist die Stärkung von Mädchen in technischen Fächern. „Viele unserer Schülerinnen fühlen sich in männerdominierten Bereichen nicht gleichwertig angesehen. Dem wollen wir aktiv entgegenwirken“, schildert Cornelia Mader. Gendergerechte Sprache, Empowerment-Workshops und das bewusste Aufbrechen alter Rollenbilder sollen ein Umfeld schaffen, in dem junge Frauen technologische Karrieren selbstbewusst und souverän angehen können.
KI ist kein Schreckgespenst. Neben Mental Health spielt an der HTL Leonding auch künstliche Intelligenz schon seit fünf Jahren eine zentrale Rolle. Für Kainerstorfer ist KI kein Schreckgespenst, sondern ein Werkzeug: „Die Firmen erwarten von unseren Absolventinnen und Absolventen, dass sie damit umgehen können.“ Auf die Frage, ob es künftig überhaupt noch Programmierer braucht, antwortet er: „Wir brauchen keine reinen Programmiererinnen und Programmierer mehr, sondern Architektinnen und Architekten im EDV-Bereich – Menschen, die die Konzepte entwickeln und die Endkontrolle übernehmen.“
Viele hätten Angst, dass KI Jobs vernichten könnte. Kainerstorfer hält dagegen und zieht einen Vergleich: „Als der Taschenrechner Einzug hielt, hatten auch viele Angst. Heute ist er ein selbstverständliches Hilfsmittel.“ Genauso werde es mit KI sein: ein Werkzeug, das Arbeit erleichtert und neue Möglichkeiten eröffnet.
„Mitarbeitergespräche“ statt Hausaufgaben. Auch in seiner pädagogischen Haltung denkt er neu: Hausaufgaben im althergebrachten Sinn gibt es im Unterricht von Direktor Kainerstorfer schon lange nicht mehr. Stattdessen setzen speziell die Lehrenden der Ingenieursgegenstände auf persönliche Gespräche mit den Schülerinnen und Schülern – ähnlich wie Mitarbeitergespräche in Unternehmen. „Das ist natürlich aufwendiger und erfordert mehr Lehrpersonal“, gibt er zu, „aber es bereitet die Jugendlichen realitätsnah auf ihre berufliche Zukunft vor.“
Praxisnah durch Firmenkooperationen. Die HTL Leonding ist nicht nur schulisch, sondern auch wirtschaftlich stark vernetzt. Zweimal im Jahr gibt es Treffen mit Unternehmensgründerinnen und Unternehmensleadern, um Austausch und Kooperation zu fördern. Dazu kommt ein Mentoring-Programm, bei dem den Schülerinnen und Schülern von Firmen ein Mentor oder eine Mentorin zur Seite gestellt wird. Fünf Mal im Jahr treffen sich die Jugendlichen mit ihren Mentorinnen und Mentoren, schnuppern in die Praxis und absolvieren in vielen Fällen auch ein Pflichtpraktikum. So werden Theorie und Praxis eng verzahnt – ein weiterer Baustein für eine Ausbildung, die auf die Realität vorbereitet.Andere Bildungseinrichtungen schauen längst nach Leonding. „Mentale Gesundheit ist keine Zusatzaufgabe, sondern Teil unserer DNA geworden“, fasst er zusammen.

Mental Health darf kein Zusatzprojekt sein.
Dr. Martina Maisch
Wir haben bei Dr. Martina Gaisch, Bildungssoziologin und Professorin an der FH Oberösterreich in Hagenberg, nachgefragt. Sie forscht zu KI-Ethik, Diversity und Mental Health in MINT. Für ihr Engagement zur Stärkung von Frauen in Technik erhielt sie mehrfach nationale Auszeichnungen.
Frau Dr. Gaisch, im Rahmen Ihrer MINT-ality-Studie wurden 1.500 Schülerinnen befragt. Was war für Sie das überraschendste Ergebnis?
Auffällig war, dass viele Mädchen in technischen Schulen das Gefühl haben, eine Pionierinnenrolle einzunehmen. Das eröffnet Chancen, bringt aber auch Selbstzweifel und Rollenkonflikte mit sich. Dort, wo Mental-Health-Programme bewusst integriert sind, sinkt dieser Druck und die Mädchen gewinnen an Selbstbewusstsein und Handlungssicherheit.
Was brauchen Lehrende, um Schülerinnen und Schüler in ihrer mentalen Gesundheit zu unterstützen?
Lehrkräfte sind oft die ersten, die Belastungen bemerken. Sie brauchen daher nicht nur fachliche, sondern auch mentale Kompetenzen, um zu erkennen, wann Stress krank macht, sensibel zu reagieren und selbst Strategien zur Stressbewältigung zu haben. Fortbildungen, Reflexionsräume und die Unterstützung durch Sozialarbeiter und Psychologen sind entscheidend.
Die HTL Leonding gilt als Vorbild. Was können Schulen von ihr lernen?
Vor allem, dass Mental Health nicht als Zusatzprojekt gedacht werden darf, sondern Teil der DNA der Schule sein muss. Workshops, Empowerment-Programme und die Einbindung von Expertinnen und Experten wirken dann, wenn sie fix im Alltag verankert sind. Entscheidend ist auch, Lehrkräfte weiterzubilden. Denn sie sind, wie gesagt, oft die ersten, die Belastungen bemerken.
Ausbildungszweige HTL-Leonding
Informatik: Software, Netzwerke, Projekte, Entrepreneurship Informatik – CSI (Computer Science International): Internationaler Lehrgang, ausschließlich in Englisch
Design of Digital Products: Informatikzweig mit Fokus auf Design & digitale Produktentwicklung
IT-Medientechnik: Multimediale Inhalte, Medienproduktion, Gestaltung & Technik
Elektronik und Technische Informatik: Hardware, Software, technische Systeme, Sensorik, Steuerung etc.
Biomedizin- und Gesundheitstechnik: Technik im Gesundheits- und Medizinbereich
Weitere Schulformen & Zusatzangebote
Fachschule („FS“) Elektronik & Technische Informatik: vierjährige Ausbildung ohne Matura
Kolleg / Abendform für Berufstätige: Informatik, System-/Medientechnik
Berufsreifeprüfung (für Absolventinnen und Absolventen, die die Matura nachholen möchten)
Tag der offenen Tür
21. November 2025, 13 bis 20 Uhr
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