
©Sylvia Hofstadler
Mit „Liebe mit Handicap“ hat Leonie Philipp eine Plattform geschaffen, die Menschen mit und ohne Beeinträchtigung einen geschützten Raum für Begegnungen bietet. Aufgewachsen mit einer Mutter im Rollstuhl, weiß die Traunerin, wie schwer es für Menschen mit Handicap sein kann, den richtigen Partner zu finden.
„Ich habe am Samstag mein erstes Date im Leben und bin schon so aufgeregt. Danke Liebe mit Handicap. Endlich hatte ich auch mal Erfolg,“ schreibt ein 28-jährger Mann, dem Leonie Philipp mit ihrer Partnervermittlung „Liebe mit Handicap“ geholfen hat, sich mit einer Frau zu treffen. Leonie Philipp ist Fachsozialbetreuerin für Behindertenarbeit mit Pflegeassistenz. Im Interview spricht sie über ihre Motivation, ihre persönlichen Erfahrungen und warum sie glaubt, dass jeder Mensch liebenswert ist.
Ihre verstorbene Mutter lebte jahrelang mit Multiple Sklerose und saß im Rollstuhl. Wie hat Sie das als Tochter geprägt?
Die Krankheit meiner Mutter hat mich sehr geprägt. Barrierefreiheit war für mich von klein auf selbstverständlich – egal ob Kino, Restaurant oder Einkauf: Wir mussten immer zuerst klären, ob alles mit Rollstuhl zugänglich ist. Gleichzeitig war die Krankheit mit all ihren Folgen, etwa dem hohen Pflegeaufwand, stets präsent. Gerade in meiner Kindheit war das oft schwierig, hat mir aber auch früh gezeigt, welche Bedeutung Unterstützung und Verständnis im Alltag haben.
Jeder Mensch ist liebenswert und hat eine Chance auf eine glückliche Beziehung.
Leonie Philipp
War dieses Schicksal mitunter ein Grund, warum Sie 2022 die Plattform „Liebe mit Handicap“ gegründet haben?
Ja, ganz bestimmt. Schon vor rund 15 Jahren kam ich durch meine Mutter damit in Berührung, als sie selbst auf Partnersuche war und mich um Hilfe bat. Natürlich habe ich sofort gegoogelt – und war überrascht, dass es so etwas in dieser Form nicht gab. Auch durch meine berufliche Tätigkeit in der Pflege habe ich erlebt, wie groß dieses Problem wirklich ist und wie viel Einsamkeit damit verbunden sein kann. Viele Betroffene fühlen sich nicht liebenswert, und genau das nagt am Selbstwert. Diese Erfahrungen haben mich stark motiviert vor drei Jahren „Liebe mit Handicap“ ins Leben zu rufen.
Welche Werte stehen bei Ihrer Plattform im Mittelpunkt?
Wertschätzung auf Augenhöhe. Mir ist es unglaublich wichtig, Menschen darin zu bestärken, dass sie sich niemals schämen oder verstecken müssen. Jeder Mensch ist liebenswert und hat Chancen auf eine glückliche Beziehung. Man darf die Hoffnung nie aufgeben. Manchmal braucht es einfach den richtigen Moment oder ein wenig Unterstützung, aber das Potenzial für Liebe und Partnerschaft ist immer da. Genau das versuche ich meinen Klientinnen und Klienten mitzugeben: Mut, Selbstvertrauen und die Gewissheit, dass sie ihren Weg zu einer erfüllten Beziehung finden können.
Wer kann sich auf Ihrer Plattform anmelden – ausschließlich Menschen mit Handicap oder auch Menschen ohne Behinderung?
Ursprünglich hatte ich vor allem Menschen mit Behinderung als Hauptzielgruppe im Blick. Doch schon bald haben sich auch viele andere Interessierte gemeldet. Deshalb haben wir das Konzept transparenter gestaltet und auch auf der Homepage klar kommuniziert: Willkommen ist jeder, der sich in einem geschützten Rahmen nach einer Partnerschaft sehnt. Denn es gibt viele Menschen, die sich bei klassischen Dating-Apps ausgeschlossen oder gar diskriminiert fühlen. Genau für sie möchte ich eine Plattform bieten, die Sicherheit, Wertschätzung und echte Begegnungen ermöglicht.
Gibt es Geschichten von Nutzern, die Sie besonders berührt haben?
Ja, mittlerweile gibt es schon viele berührende Geschichten. Viele Pärchen haben sich gefunden und jetzt schon länger zusammen. Ich habe gerade gestern mit einem Paar telefoniert, bei dem das Zusammenziehen aktuell ein Thema ist. Die sind ganz verliebt. Das ist das Schönste für mich (lächelt).
Warum sind Liebe und Sexualität bei Menschen mit Handicap in unserer liberalen Gesellschaft noch immer ein Tabuthema?
Weil es immer noch viele Berührungsängste und Vorurteile gibt. Der Großteil der Menschheit hat aber sicher keine bösen Absichten. Um etwas zu ändern, braucht es viel Information und Sichtbarkeit.
Begegnen Ihnen Vorurteile, wenn Sie über Ihre Plattform sprechen?
Ehrlich gesagt kaum – und das hat mich selbst überrascht. Zu Beginn gab es schon eine gewisse Skepsis, vor allem, weil ich selbst keine Behinderung habe. Das kann ich gut nachvollziehen, denn viele Menschen sind zunächst vorsichtig. Inzwischen hat sich diese Zurückhaltung aber gelegt, und meine Arbeit wird sehr positiv aufgenommen.
Sollte es künftig auf Dating-Plattformen keine Rolle mehr spielen, ob jemand ein Handicap hat – oder liegt der Wert von Plattformen wie „Liebe mit Handicap“ gerade darin, dass dort Menschen mit ähnlichen Bedürfnissen und Lebensrealitäten unter sich sind?
Der Traum wäre natürlich, dass es irgendwann gar keine Unterscheidung mehr braucht und alle Menschen auf denselben Plattformen selbstverständlich willkommen sind. Bis dahin möchte ich mit „Liebe mit Handicap“ einen geschützten und barrierefreien Raum schaffen – von der Registrierung bis zur Nutzung. Mir ist wichtig, dass wirklich auf alle Menschen Rücksicht genommen wird und niemand außen vor bleibt.
Wie funktioniert die Online-Börse auf Liebe mit Handicap?
Hier finden die Anmeldung und die Partnervermittlung ausschließlich online statt. Die Benutzung ist einfach und erfordert keine großen motorischen Fähigkeiten. Mitglieder können direkt Nachrichten im System verschicken, die automatisch auch per E-Mail zugestellt werden. Die erste Kontaktaufnahme ist mittlerweile auch direkt möglich.
Sie begleiten Menschen bei der Partnersuche auch individuell und persönlich. Warum ist Ihnen diese persönliche Betreuung so wichtig?
Damit habe ich tatsächlich angefangen – die persönliche Vermittlung war mein erster Schritt, ganz spontan, weil ich einfach etwas Sinnvolles machen wollte. Heute weiß ich: Genau das macht unsere Arbeit besonders barrierefrei. Denn es gibt Menschen, die sich nicht selbst online registrieren können, auch wenn der Prozess eigentlich sehr einfach ist. Manche brauchen einfach mehr Unterstützung, mehr Raum für Gespräche oder haben Dinge, die sich am besten im persönlichen Austausch klären lassen. Deshalb biete ich auch Hausbesuche an, so können wir wirklich auf jede individuelle Situation eingehen und niemand bleibt außen vor.
Beeinflusst Sie das Glück der Menschen, die Sie bei der Partnersuche begleiten, auch in Ihrem eigenen Leben?
Absolut. Meine größte Motivation sind die Paare, die sich durch meine Arbeit gefunden haben – „meine Pärchen“, wie ich sie liebevoll nenne. Zu sehen, wie Menschen sich verlieben und glücklich werden, gibt mir unglaublich viel Kraft. Genau dieses Glück ist mein Antrieb und das, was mich immer wieder vorwärtsbringt.
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