Orgasmus: klitoral oder vaginal?

Expertin Heidemarie König erklärt, warum der weibliche Orgasmus keine Sache ist, die von Natur aus gegeben ist.

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(c) Shutterstock

Medial wird der weibliche Orgasmus oft als eine völlig „natürliche“ Sache angesehen. Sozusagen von Natur aus gegeben und keine erworbene Fähigkeit. Tatsächlich stellt sich der Orgasmus für viele Frauen aber oft als ein nur sehr schwer erklimmbarer Gipfel dar, den zudem die Aura eines Mysteriums umgibt.

Geschichtlich betrachtet wurde dem weiblichen Orgasmus in den vergangenen Jahrtausenden ganz unterschiedliche Dinge und Bedeutungen zugemessen. Sigmund Freud revidierte zwar um die Jahrhundertwende das Bild der asexuellen Frau, dennoch blieb der weibliche Orgasmus noch für viele Jahre ein absolutes Tabuthema in der Medizin und auch im öffentlichen Diskurs.

Phänomen der breiten masse

Erst der berühmte Sexualforscher A. Kinsey sowie das bekannte Forscherpaar W. Masters und V. Johnson brachten eine Veränderung. So wurden ab den 50er-Jahren viele wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt. Der Orgasmus wurde plötzlich ein Phänomen der breiten Masse, aber zeitgleich ließen diese Ergebnisse neue Leistungsnormen in der Sexualität entstehen. Überspitzt gesagt: klitoral, vaginal oder vom G-Punkt ausgehend, idealerweise multipel – das war die damalige Devise! Das Fehlen des Orgasmus und der Genuss der sexuellen Erregung gerieten völlig in den Hintergrund, da es nur noch um das sture Erreichen dieses Gipfels ging. Koste es, was es wolle. Ein Paradoxon. Denn das Genießen der Erregung ist eigentlich eine Voraussetzung dafür, dass der Orgasmus dann auch tatsächlich als lustvoll erlebt wird.

In Wahrheit ist ein rein vaginaler Orgasmus tatsächlich ein Mythos, da die Klitoris immer in irgendeiner Art mitstimuliert wird.“

Mag. Heidemarie König (Sexualpädagogin)

Was ist allerdings der Unterschied zwischen einem vaginalen oder klitoralen Orgasmus?
Als klitoraler Orgasmus wird jener bezeichnet, der durch die Stimulierung der Klitoris erreicht werden kann. Während dem vaginalen Orgasmus, wie der Name schon vermuten lässt, eine vaginale Stimulation vorausgeht. Stimulieren meint zum Beispiel Berührung, gezielte Bewegung, das Anspannen von gewissen Muskeln oder das abwechselnde An- und Entspannen der Muskeln im Beckenbereich.

Um ehrlich zu sein, kann man in der Selbstbefriedigung oder in der sexuellen Begegnung mit einem anderen Menschen nicht klar trennen, ob das Spüren nun ein rein klitorales oder ein rein vaginales ist. Denn Klitoris und Vagina liegen anatomisch betrachtet nicht nur sehr eng nebeneinander, die Klitoris ist auch wesentlich größer als gedacht. In Wahrheit ist ein rein vaginaler Orgasmus tatsächlich ein Mythos, da die Klitoris immer in irgendeiner Art und Weise mitstimuliert wird. Womöglich nicht die sichtbare Perle, die die Medizin übrigens Klitoriseichel bezeichnet. Vielleicht aber die Klitorisschwellkörper oder -schenkel, die die Vagina umgeben und unter der Haut weiterlaufen. Aus diesem Grund wird die Klitoris auch stimuliert, wenn die Vagina einen Penis, einen Finger oder einen Gegenstand aktiv aufnimmt.

Individuelles Erleben

Trotzdem berichten Frauen, dass sie Orgasmen unterschiedlich erleben. So erzählte neulich eine Frau in der Beratung, dass sie den Orgasmus, den sie erlebt, wenn sie ihre Klitoris reibt und drückt, angenehm findet – aber halt „nur“ angenehm. Er fühlt sich nicht wie jener Orgasmus an, den sie aus der partnerschaftlichen Sexualität kennt, der wie ein Feuerwerk durch den Körper rauscht und sie in völlige Ekstase versetzt. Dieses unterschiedliche Erleben hängt nicht primär damit zusammen, dass unterschiedliche Nervenenden stimuliert werden, sondern es geht eher um die Art und Weise der Erregung. Wenn man Frauen fragt, die für den Orgasmus die Klitoris reiben und/oder drücken, dann machen das viele Frauen in einer eher angespannten Körperhaltung mit relativ wenig bis gar keiner Bewegung. Durch hohe Muskelspannung ist allerdings die Wahrnehmung der Berührung reduziert.

Bewegung erhöht stimulation

Frauen, die zum Orgasmus kommen, indem die Vagina stimuliert wird, bewegen oft das Becken und auch den Oberkörper wesentlich mehr. Doch warum bewegen sich Frauen bei der vaginalen Stimulation mehr? Vereinfacht gesagt, weil die Vagina ein Stück weit darauf angewiesen ist, denn anders als die Klitoris verfügt die Vagina nicht über viele Oberflächenrezeptoren. Bewegung stimuliert die vorhandenen Rezeptoren, die auf Druck und Dehnung ausgerichtet sind, allerdings sehr gut.
Körperteile, die in Bewegung sind, werden vom Gehirn wesentlich mehr und besser wahrgenommen, als Körperteile, die starr und angespannt sind.

Bewegung im Beckenbereich bedeutet ein intensiveres Wahrnehmen und je mehr vom restlichen Körper mitbewegt wird, desto mehr kann sich die sexuelle Erregung im Körper auch ausbreiten und der Orgasmus zum Feuerwerk werden, das durch den ganzen Körper rauscht.

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