Mit Weitblick zu mehr Menschlichkeit
Sie war hautnah dabei, als die Tragödie Ende Juli am K2 in Pakistan rund um den verunglückten Hochträger Mohammad Hassan passierte.
© Gabriel Tarso
Sabrina Filzmoser aus Thalheim bei Wels ist eine der erfolgreichsten Profisportlerinnen unseres Landes. Sie war hautnah dabei, als die Tragödie Ende Juli am K2 in Pakistan rund um den verunglückten Hochträger Mohammad Hassan passierte. Es waren unfassbare Bilder: Mehrere Personen steigen am Weg zum Gipfel über den sterbenden Pakistani. Kaum einer hilft. Wir haben mit der 43-Jährigen über diesen Tag gesprochen.
Die zweifache Judo-Europameisterin Sabrina Filzmoser ist Akademikerin, Pilotin, Polizeischülerin, Extrembergsteigerin und -Mountainbikerin und unterstützt Hilfsprojekte im Himalaya. Letztes Jahr startete sie mit ihrem Mountainbike in Indien auf Meeresspiegelhöhe und radelte bis nach Nepal, um den Mount Everest ohne künstlichen Sauerstoff zu besteigen. Aufgrund ihrer Erfrierungen musste sie auf den letzten Metern zum Mount-Everest-Gipfel doch noch auf künstlichen Sauerstoff zurückgreifen. Für Filzmoser geht es bei ihren Expeditionen nicht um Rekorde, sondern um Nachhaltigkeit und Menschlichkeit. Ihr Ziel ist es, Aufmerksamkeit für die Menschen und ihre Lebensbedingungen in diesen Regionen zu generieren. Ihr diesjähriges K2-Projekt führte sie von Islamabad in Pakistan mit dem Mountainbike bis zum K2, dem zweithöchsten und gefährlichsten Berg der Welt. Am 27. Juli entschied sie sich jedoch in Camp 3, kurz vor dem Ziel, gegen den Gipfelaufstieg. Ein Tag, der durch die Medien ging. Zum einen vollendete die Norwegerin Kristin Harila den Rekord der schnellsten Besteigung aller 14 Achttausender, zum anderen kam der Hochträger Mohammad Hassan am Weg zum Gipfel ums Leben. Der Verdacht auf unterlassene Hilfeleistung ging als Aufschrei durch die Medien und die Kritik am Massentourismus auf den 8.000ern wird nun immer lauter.
Frau Filzmoser, welche Herausforderungen sind beim Besteigen von Bergen wie dem Mount Everest oder dem K2 am schwierigsten zu bewältigen?
Zum einen die Logistik, da ich meistens sehr viele Judogis, Sport-, Rad- und Kletterequipment mithabe, welche ich an die Sherpas, Hochträger, meine Everest-Judokids und die Nepal Cycling School vor Ort verteile. Physisch ist es vor allem die lange Zeit, um sich in dieser Höhe ausreichend zu akklimatisieren. Mental sind die größten Herausforderungen die nötige Geduld, der Umgang mit Rückschlägen aufgrund von Witterungsbedingungen und das Warten auf die Genehmigungen der Behörden.
Wie bereiten Sie sich auf solche Expeditionen vor?
Mir hilft natürlich meine Vergangenheit als Spitzensportlerin, ich bin aber auch schon seit meiner Kindheit viel in den Bergen Österreichs und weltweit unterwegs. Eine gute Vorbereitung auf Höchstleistungen in diesen Höhen war sicher auch meine Teilnahme an den „High Altitude“-Wettkämpfen wie dem „Yak Attack MTB Race“ in Nepal (Silber und zweimal Bronze) und dem „Tour of the Dragon“-Bhutan-MTB-Race (Gold), den härtesten Mountainbike-Eintagesrennen der Welt.
Die Wetterbedingungen, Lawinengefahr und die hohe Anzahl von Kletterern heuer am K2 haben Sie zur Umkehr gezwungen. Wie sehr beeinflussen diese Faktoren den Erfolg solcher Expeditionen?
Natürlich sehr. Die Entscheidung, kurz vor dem Ziel umzukehren, ist äußerst komplex. Ich war mehr als sieben Wochen am Berg und hervorragend akklimatisiert. Da ich ausschließlich mit Pakistanis und ohne künstlichen Sauerstoff bei derartigen Witterungsbedingungen unterwegs war, war das Risiko schon fast über dem Limit, deshalb fiel mir die Entscheidung abzubrechen nicht schwer.
Sie waren am 27. Juli in Camp 3 einige Hundert Höhenmeter unter der Unfallstelle, an der Mohammad Hassan starb. Wie haben Sie die Tragödie erlebt?
Als alle Teilnehmer von den kommerziellen Expeditionen nachts, trotz der schwierigen Bedingungen, fast gleichzeitig losgingen, war für mich klar: Ohne künstlichen Sauerstoff brauche ich es bei einem derart großen Lawinenrisiko und hohen Windgeschwindigkeiten gar nicht versuchen. Stundenlang im Stau stehen am K2, unter dem Bottleneck und der Traverse auf 8.200 Meter, das schafft man nur mit ausreichend künstlichem Sauerstoff und gutem Support. Als es zum Unfall kam, standen alle Bergsteiger bereits zwei bis drei Stunden im hüfttiefen Schnee und erlebten mindestens zwei größere Lawinen und mehrere kleinere Schneebretter. Einige Bergsteiger haben Schnee abbekommen, waren aber nicht verletzt, außer Hassan, der oben fünf Meter unterhalb der Spur im Seil hing. Nur zwei Bergsteiger halfen, ihn unter schwierigsten Bedingungen raufzuziehen, alle anderen entschieden sich weiterzusteigen bzw. ihren Sauerstoff ausschließlich für den Gipfelsturm zu verwenden. Nur drei bis vier Gruppen kehrten um. Das war das österreichische Furtenbach-Team (inkl. ServusTV-Team und Bergführer Philip, der die Drohnenaufnahmen machte) sowie zwei amerikanische Unternehmen und zwei bis drei Bergsteiger, die es so wie ich, ohne künstlichen Sauerstoff versuchen wollten.
Es war der erste Einsatz als Höhenträger für den 27-jährigen Mohammad Hassan, zuvor arbeitete der Pakistani ausschließlich im Basislager. Warum begibt sich so jemand auf eine Gipfelbesteigung auf den gefährlichsten Berg der Welt?
Seit der großen Lawinenkatastrophe am Mount Everest 2014, bei der 21 Sherpas verschüttet wurden und 16 starben, haben die nepalesischen Unternehmen eine eigene Ausbildung zum Bergführer und eine entsprechende Ausrüstung. Pakistan hinkt da hinten nach. Es gibt weder ausreichend Schulbildung noch Bergausbildung oder entsprechende Ausrüstung, um in den hohen Bergen zu überleben. Trotzdem gehen die Sherpas das Risiko ein, weil sie ihre Familien mit diesem Geld für Monate am Leben erhalten, das Schulgeld bezahlen können oder wie in Hassans Fall, den Arzt für die kranke Mutter bezahlen wollen.
Was müsste sich Ihrer Meinung nach ändern, dass so etwas nicht mehr passiert?
Die Regierung in Pakistan muss, wie jene in Nepal, Unterstützung geben und Auflagen schaffen, um diese „High Altitude Heroes“ zu versichern und anzuregen, ordentliches Material und sicheres Equipment zu beschaffen. Der Tourismusminister in Gilgit-Baltistan muss und darf nicht nur ausländische Unternehmen willkommen heißen, sondern sollte auch unbedingt die lokalen unterstützen. Aber so korrupt, wie das Land derzeit ist, wird das so schnell nicht passieren, jedoch sind die Chancen, seit das Unglück passiert ist, so hoch wie nie zuvor. Mit dem Weitblick zu mehr Menschlichkeit ist dort auch von ausländischen Bergsteigern mehr Verantwortungsbewusstsein aufgeflammt.
Wie gehen Sie persönlich mit der Enttäuschung um, Ihr Ziel dieses Jahr nicht erreicht zu haben?
Natürlich denke ich immer sportlich fokussiert, aber als Spitzensportlerin habe ich gelernt, aus Enttäuschungen und Rückschlägen mehr mitzunehmen als von Erfolgen. Die innere Einstellung, das Fragen nach dem Warum und das Analysieren der Situation sind das Wichtigste. Das Scheitern ist eigentlich nicht tragisch. Durch mein häufiges Scheitern bin ich nicht sanfter geworden, nur zäher. Im Scheitern erfahren wir unser Begrenztsein. Wie bereits Reinhold Messner schrieb.
Neben dem sportlichen Aspekt ist Ihre K2-Expedition auch von einem humanitären Anliegen geprägt …
Ich möchte vorleben und aufzeigen, dass jeder seinen Teil dazu beitragen kann und soll. Ich hoffe, dass meine Doku „Forever Everest“, die ich mit der Internationalen Judo-Föderation (IJF) produziert habe, ein Ansporn ist, Menschen zur Unterstützung zu bewegen. Mit geistigem Weitblick und dem nötigen Engagement kann jeder über seinen Schatten springen und erkennen, wie schlecht es 99 Prozent der Menschheit in Entwicklungsländern rund um den Erdball geht.
Durch mein häufiges Scheitern bin ich nicht sanfter geworden, nur zäher. Im Scheitern erfahren wir unser Begrenztsein.
Sabrina Filzmoser
Welche anderen Ziele und Herausforderungen möchten Sie in Ihrer Bergsteigerkarriere noch angehen?
Möglichst nachhaltig mit dem Fahrrad und zu Fuß unterwegs zu sein, bereitet mir riesige Freude. Viele Menschen zahlen viel Geld, um möglichst rasch im Base Camp zu sein, vergessen aber, wie wichtig der Weg dorthin ist. Das geht in der heutigen Zeit sowieso oft verloren, zu lernen, sich mit der Umgebung zu beschäftigen, sich reinzufühlen, zu denken und anzupassen –das schaffen die wenigsten. Es muss immer schneller sein und es zählt oft nur der Gipfel. Das ist äußerst schade. Die Definition von „Erfolg“ sollten viele einmal überdenken und für sich selbst bearbeiten.
Mehr Infos über Sabrina Filzmosers
Projekte und Spendenmöglichkeiten
finden Sie unter: www.everest-judo.com
Instagram: @sabshero und @forevereverest2022