Wirt Günter Hager mit seinem Buch "Danke, Tibet"

Günter Hager: zwischen Gastgarten und Gelassenheit

„Josef“-Wirt Günter Hager wird 70 Jahre alt und spricht über Achtsamkeit, seine Sehnsucht nach Stille und seine zweite Heimat Tibet.

6 Min.

© privat

Im August feiert der Linzer Kult-Wirt Günter Hager seinen 70. Geburtstag – und denkt erstmals konkret darüber nach, sich aus der Gastronomie zurückzuziehen. Nicht etwa aus Müdigkeit, sondern aus einer inneren Klarheit heraus. „Ich bin nicht mehr der Gastgeber, der ich einmal war“, sagt er im Interview, während wir im schattigen Gastgarten des „Josef“ sitzen. Das ständige Raunzen der Gäste störe ihn zunehmend, gesteht er offen. Lieber möchte er seine Zeit Dingen widmen, die ihn wirklich erfüllen – wie seiner Liebe zu Tibet, wo er seit Jahrzehnten karitativ tätig ist.

Ein bisschen mehr Dankbarkeit würde uns hier in Österreich wirklich guttun.

Günter Hager

Herr Hager, Sie sagen von sich selbst, Sie seien kein guter Gastgeber mehr. Warum?
Günter Hager: Ich ertappe mich immer öfter dabei, dass mich das ständige Raunzen und Jammern der Gäste nervt. Immer gibt es irgendetwas, worüber sie sich beschweren. Ich halte ihnen dann manchmal den Spiegel vor, aber das mögen die meisten nicht. Dabei geht’s uns in Österreich so unfassbar gut. Ein bisschen mehr Dankbarkeit würde uns wirklich guttun.

Sie wirken trotzdem gelassen und geerdet. Woher nehmen Sie diese Ruhe?
Das hat viel mit meinen Reisen nach Tibet und Indien zu tun und mit dem, was ich dort erlebt habe. Die Menschen dort kommen mit – aus westlicher Sicht – sehr wenig aus und strahlen dennoch eine tiefe Zufriedenheit und Lebensfreude aus, die uns im Westen oft fehlt. Diese innere Ruhe versuche ich mir mitzunehmen.

Wirt Günter Hager mit dem Dalai Lama.
Seine Begegnungen mit dem Dalai Lama haben Günter Hager immer zutiefst berührt. © privat

Anfang des Jahres waren Sie beim Meha Kumbh Mela, dem größten hinduistischen Pilgerfest der Welt. Was hat Sie dorthin geführt?
Ich reise seit mehr als 30 Jahren regelmäßig nach Indien und war schon bei vielen spirituellen Festen. Das Meha Kumbh Mela findet nur alle zwölf Jahre statt – und heuer war es ein ganz besonderer Zeitpunkt, weil eine seltene Planetenparade stattfand, die es nur alle 144 Jahre gibt. Da musste ich dabei sein. Außerdem sagt der Buddhismus, dass das Leben in drei Abschnitte unterteilt ist: Jugend und Lernen, Familie und Beruf und schließlich Zeit für sich selbst. In diesem dritten Abschnitt bin ich jetzt angekommen.

Wie war es, mit Millionen von Menschen gemeinsam zu pilgern und zu feiern?
Unbeschreiblich. Mehr als 600 Millionen Menschen waren in fünf Wochen vor Ort – und trotzdem war es friedlich, respektvoll und sehr geordnet. Als Europäer war ich natürlich ein Exot und wurde oft angesprochen. Die rituelle Waschung im Ganges war für mich persönlich eine Herausforderung – das Wasser hatte gerade mal sechs Grad! Ich habe mir Zeit gelassen, bis zum Abend, und bin dann in der Nähe unseres Zelts ins Wasser gegangen. Drei Mal mit dem Kopf untergetaucht, um meine Sünden erlassen zu bekommen – das war ein sehr kraftvoller Moment.

Bei dieser Reise haben Sie auch die englische Ausgabe Ihres Buches „Danke, Tibet“ vorgestellt. Wie war die Resonanz?
Der Abend war für mich sehr besonders und emotional. Rund 60 geladene Gäste waren dabei – viele Menschen, die sich für Tibet engagieren. Sie haben sich gefreut, dass ich mit meinem Buch die Werte dieser Kultur auch in Europa sichtbar machen möchte. Was mich enttäuscht hat: Niemand von der österreichischen Botschaft ist gekommen, obwohl ich mehrfach eingeladen habe. Das hat mich schon getroffen. Im Herzen bin ich immer noch Österreicher.

Glück bedeutet, Zeit für mich selbst zu haben und diese Zeit bewusst zu nutzen.

Günter Hager

Was hat Sie damals nach Tibet geführt?
Das kann ich selbst nicht so genau sagen. Bei meinem ersten Besuch in Lhasa Mitte der 90er-Jahre habe ich sofort eine tiefe Verbundenheit gespürt. Ich habe mich diesem Land zugehörig gefühlt. So ist mein Wunsch entstanden, etwas zurückzugeben und daraus wurden zwei Waisenhäuser und ein Heim für ältere Bergnomaden. Für mich ist das ein kleiner Beitrag zum Erhalt einer einzigartigen, jahrtausendealten Kultur, die zunehmend bedroht ist.

Gab es in Tibet Begegnungen, die Ihnen besonders im Herzen geblieben sind?
Ja, vor allem meine Begegnungen mit dem Dalai Lama. Ein Treffen wurde einmal kurzfristig abgesagt und dann doch noch möglich gemacht, weil er meinte, er nehme sich immer Zeit für Menschen, die etwas für Tibet tun. Das hat mich zutiefst berührt. Nach dem Gespräch war ich so überwältigt, dass ich erst mal in eine Bar gehen und zwei Whisky trinken musste (lacht).

Günter Hager mit vielen Kindern ivor seinem Waisenhaus in Tibet.
In Tibet hat Günter Hager zwei Waisenhäuser und ein Altenheim für Bergnomaden gebaut. © privat

Was können wir im Westen von der tibetischen Lebensweise lernen?
Vor allem Achtsamkeit, Nächstenliebe und Toleranz. Die Tibeter leben mit wenig, aber in großer innerer Fülle. Sie sind im Alltag unglaublich respektvoll – im Umgang miteinander, mit der Natur, mit sich selbst. Ich versuche, das auch hier zu leben. Zum Beispiel füttere ich die Vögel in meinem Garten das ganze Jahr über. Ich setze mich hin und beobachte sie. Das ist für mich besser als Fernsehen.

Was bedeutet Glück für Sie heute?
Zeit für mich selbst zu haben und diese Zeit bewusst zu nutzen. Wenn man in sich selbst ruht, strahlt man das auch nach außen aus. Viele fragen mich, ob ich meditiere – ja, aber auf meine Art. Wenn ich abends vom „Josef“ heimkomme, suche ich mir im Garten ein ruhiges Platzerl, zünde mir eine Zigarre an und bin ganz bei mir. Das ist meine Form der Meditation.

Sie sind seit mehr als 50 Jahren leidenschaftlicher Gastwirt. Fällt Ihnen der Gedanke ans Aufhören schwer?
Natürlich war der Beruf immer meine große Leidenschaft, aber ich werde das „Josef“ in absehbarer Zeit an meinen Sohn übergeben, weil es sich richtig anfühlt. Ich freue mich auf die Zeit, die jetzt kommt. Früher war ich in Tibet, um zu geben, heute reise ich hin, um zu empfangen – und zwar Liebe und Dankbarkeit. Wenn ich sehe, wie die Kinder in den Waisenhäusern mit meinen mitgebrachten Luftballons spielen, geht mir das Herz auf. Das ist Glück. Echtes Glück.

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