Steht er – also bin ich

Auf die Erektion zu achten gehört zu den sichersten Möglichkeiten, eine Erektion zu verhindern. Wie Männer aus diesem Teufelskreis wieder herauskommen, weiß unser Sexologe Wolfgang Kostenwein.

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Vieles hat das Potenzial, das Selbstbewusstsein von Männern ins Schwanken bringen zu können: Wenn man bemerkt, dass von zwanzig Liegestützen eigentlich nur noch fünf gelingen, wenn die mittleren Knöpfe des Lieblingshemds plötzlich zu weit auseinander liegen, oder wenn ein klares Flirtangebot so gar keine Reaktion hervorruft. Nichts davon ist in seiner Dramaturgie allerdings vergleichbar mit der Bedrohlichkeit, die eine fehlende Erektion hervorruft. Die Identität des Mannes steht und fällt im wahrsten Sinne des Wortes nicht selten mit der Erektionsfähigkeit.
Frei nach Descartes: Steht er – also bin ich.

Immer mehr junge Männer betroffen.


Erektionsprobleme sind – ganz entgegen den Erwartungen – kein ausschließliches Thema des älter werdenden Mannes. In der Sexualberatung finden sich zunehmend junge Männer mit Fragen zur Erektion. Der Einstieg in die Erektionsproblematik ist oft überraschend ähnlich. Es gibt eine Situation, in der eigentlich eine Erektion erwartbar ist, aber aus irgendwelchen Gründen im entscheidenden Moment nicht stattfindet. Grundsätzlich kann das natürlich vorkommen und würde keinen Grund für Verunsicherung bedeuten. Wenn diese Situation aber in eine Irritation führt, wird dieser Mann in der nächsten sexuellen Situation beginnen, darauf zu achten, ob die Erektion kommt. Die Erektion ist allerdings ein reflektorisches Geschehen im Körper und kann nicht willentlich ausgelöst oder kontrolliert werden. Ganz im Gegenteil: Auf die Erektion zu achten gehört zu den sichersten Möglichkeiten, eine Erektion zu verhindern. Allein dieser Mechanismus führt in einen schwierigen Teufelskreis.

Aber es wird noch komplizierter.


Für den oder die Partnerin ist die Erektion des Mannes häufig der sichtbare Maßstab für dessen Erregung – da wird Erektion mit Erregung verwechselt. Und relativ schnell wird die scheinbar fehlende Erregung auf die eigene sexuelle Attraktivität bezogen. Die Partnerin ist dann verunsichert und fühlt sich sexuell nicht begehrenswert. Nun beginnt sich der Mann noch mehr um die Erektion zu kümmern. Schließlich will er ja zeigen, dass er sehr wohl Lust hat und erregt ist. Dieses sexuelle Dilemma aufgrund einer Paardynamik beruht auf einer Verwechslung von Erektion und Erregung. Der Mann kümmert sich nicht mehr um seine Lust, sondern nur mehr um die Funktionalität.
Die Lösung wäre grundsätzlich einfach: Sobald der Mann seine eigene Lust beachtet und auf dieser Basis die sexuelle Begegnung gestaltet, würde die Erektion als Folge dieser Lust wieder ganz von allein kommen.
Leider sind viele Männer so sehr darauf konzentriert, wieder funktionieren zu wollen, dass ihnen die Hinwendung zur eigenen Lust nicht gelingt. Spätestens dann ist professionelle Hilfe nötig.

Lösungsansätze nach Sexocorporel.


Sexocorporel ist ein sexualtherapeutisches Konzept, das nicht nur die psychologische Seite in der Sexualität beachtet. Dadurch ergeben sich neue Möglichkeiten, den oben beschriebenen Teufelskreis zu durchbrechen. Nach einer sexologischen Bestandsaufnahme können gezielt Aspekte gefördert werden, die direkten Einfluss auf die Lust nehmen. Das können Gestaltungsmöglichkeiten des Körpers sein, die mehr Lustzugang ermöglichen oder auch die Erweiterung von Anziehungscodes. Wenn eine Person nur in bestimmten Situationen oder Szenarien Lust bekommen kann, besteht genau davon auch eine Abhängigkeit. In der Sexualtherapie kann an der Unabhängigkeit von solchen einengenden Anziehungscodes gearbeitet werden. All diese Ansätze stellen wieder die Lust der Person in den Vordergrund und können über diesen Weg die Mechanismen des Teufelskreises durchbrechen.

Potenzmittel zur Unterstützung.


Als unterstützende Maßnahme ist es manchmal sinnvoll, sich ein Potenzmittel verschreiben zu lassen, das man so lange einnimmt, bis die sichere Verankerung in der eigenen Lust wieder gegeben ist. Das Potenzmittel ist dann nicht als Symptombekämpfung gedacht, sondern nur dafür, sich nicht um die Erektion kümmern zu müssen, sondern sich wieder ungebremst der Lust zuwenden zu können. Sex bekommt dann die Bedeutung, die Sex eigentlich immer haben sollte: Die eigene Lust mit der Lust der anderen Person zu teilen und zu einem möglichst großen und genussvollen gemeinsamen Lustereignis werden zu lassen.

Zur Person

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Mag. Wolfgang Kostenwein ist Sexologe, Sexualpädagoge und Psychologe. Er hat zudem die psychologische Leitung des Österreichischen Instituts für Sexualpädagogik und Sexualtherapie in Wien über.

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