Mehr als Tofu und Saitan

Küchenchef Paul Ivic im Porträt

12 Min.

Topinambur, Schwarzwurzel, Späternte: Paul Ivićs Menü liest sich wie ein Spaziergang durch den Gemüsegarten. Und Gemüse ist auch der Hauptakteur seiner mit Sternen und Hauben ausgezeichneten Küche. „Das war nicht immer so“, erklärt uns der aus Tirol stammende Koch und Kochbuchautor mit kroatischen Wurzeln im Interview im TIAN Bistro am Berg im Hotel Edelweiss in Zürs und erinnert sich an die Zeiten, wo er beim Lebensmitteleinkauf stundenlang gefeilscht hat, um schließlich das billigere Produkt zu bekommen. Erst eine gesundheitliche Krise brachte ihn zum Reflektieren und Umdenken. Zum Glück, denn mit seinen inspirierenden und bekömmlichen Gerichten sowie seinen Büchern, in denen er zum wertschätzenden Umgang mit Lebensmitteln aufruft, zeigt der 45-Jährige, wie vielfältig vegane und vegetarische Kost sein kann. 

Herr Ivić, was hat Sie dazu bewogen, in der vergangenen Wintersaison mit TIAN Bistro am Berg ins  Hotel Edelweiss in Zürs am Arlberg zu gehen?

Ich kenne die Gastgeber Irmgard und Karl Wiener vom Hotel Edelweiss schon lange und zwischen uns ist eine große Vertrauensbasis vorhanden. Aber es braucht natürlich mehr, denn die TIAN-Philosophie ist nicht die einfachste Vorgabe, wenn es um die Eröffnung neuer Standorte geht. Man muss sich erst mit den lokalen Gegebenheiten vertraut machen, Produzenten besuchen, testen und experimentieren. Am Arl-
berg und generell in Vorarlberg haben wir das Glück, mit tollen Produzenten zusammenzuarbeiten, die wir vielleicht von Wien aus so noch nicht auf dem Radar hatten. Es macht einfach Spaß, auf Menschen zu treffen, die Qualität über alles stellen. Sie liefern einem enorm viel Inspiration für Gerichte, die dann im Menü landen.

Gleich in der ersten Saison 2021 heimste Ihr Team am Arlberg drei Hauben ein. War anfangs seitens der Gäste und Einheimischen Skepsis vorhanden?

Ja, natürlich, eine gewisse Skepsis ist immer vorhanden, da sich manche Menschen vor einem veganen oder vegetarischen Abend fürchten. Aber wir präsentieren ein super geiles Produkt, das Spaß und Freude macht, und es hat uns überrascht, dass das TIAN Bistro am Arlberg auf Anhieb so gut angenommen wurde. 

Und das, obwohl der Arlberg doch eher im Luxussegment angesiedelt ist.

Ja, aber ich sehe nicht Produkte wie Kaviar, Hummer oder Gänseleber als Luxusprodukte, sondern Lebensmittel, die frei von Toxinen und Quälereien sind. 


Seit der Gründung des TIAN Restaurants in Wien durch Christian Halper ist Paul Ivić als Küchenchef und Geschäftsführer an Bord. © Ingo Pertramer / Brandstätter Verlag

Wenn man vegetarisch auf diesem Niveau kocht, ist das preistechnisch gesehen gleich wie in der „herkömmlichen“ Haubenküche?

Wie wir kochen, ist schon sehr preisintensiv, weil wir viele Mitarbeiter benötigen. Das ist vor allem unserer No-Waste-Philosophie geschuldet, bei der wir laufend neue Gerichte entwickeln, neue Produkte entdecken, uns ständig hinterfragen und mit unseren Partnern neue Wege gehen. Wir arbeiten mit vielen Lieferanten zusammen, die die gleiche Philosophie verfolgen wie wir: den unaufhaltsamen Fokus auf Qualität. Und ohne ihre phänomenalen Produkte wäre das TIAN-Menü nicht dasselbe. Bei Gemüse muss man mit den allerbesten Produkten arbeiten, um den besten Geschmack zu erzielen.

Sie betreiben das TIAN Restaurant und das TIAN Bistro in Wien, das TIAN Bistro am Meer in Kroatien und das TIAN Bistro am Berg in Zürs. Wie lautet Ihre Philosophie?

TIAN bedeutet nicht, ein Rezept auszugeben und nachzukochen. Meine Mitarbeiter müssen das, was wir machen, auch an den Gast weitergeben. Das funktioniert nur, wenn man lange Jahre dabei ist und die Gedankenwelt von Christian Halper und mir versteht. Das ist ein ganz besonderer Spirit. Aber ich habe ein außergewöhnlich gutes Team, welches das, was ich mache, verkörpert und mitgestaltet. Natürlich möchte ich in allen Restaurants und Bistros dieselbe DNA haben, aber mit unterschiedlichen Charakteren. Alle Mitarbeiter, die bei mir arbeiten, sollen sich entfalten können. 

Früher habe ich mindestens 120 Kilo Fleisch im Jahr gegessen, heute maximal vier bis acht Kilo.

Paul Ivic

Sie sind neuerdings auch Botschafter für SPAR. Was muss ein Unternehmen bzw. eine Marke haben, um Sie für eine Zusammenarbeit gewinnen zu können?

Es geht immer um die Menschen. Wenn diese die Vision haben, etwas weiterzuentwickeln und man gemeinsam ein übergeordnetes Ziel hat, dann sollte man zusammenarbeiten. Viele Jahrzehnte war der Handel für mich ein Feindbild, aber wenn man am Bewusstsein der Konsumenten ein bis zwei Prozent verändern kann, erreicht man sehr viele Menschen. Als Gastgeber in der Spitzengastronomie bringen wir nicht nur Trends, Genuss, Qualität und Schönheit auf den Teller, sondern nehmen auch unsere gesellschaftliche Verantwortung wahr. SPAR bekennt sich zu denselben Werten wie wir und ich freue mich, künftig gemeinsam mit der Handelskette die Veränderung des nachhaltigen Genusses und Konsums sowie einer umweltfreundlichen Ernährungsweise vorantreiben zu können. Für eine Partnerschaft brauche ich das Vertrauen, dass die Initiative ernst gemeint ist und es müssen viele Schnittstellen passen. 

Bio-Lebensmittel sind teurer als konventionelle Produkte. Glauben Sie, dass man die Konsumenten nur über den Preis zum sensiblen Umgang mit Lebensmitteln gewinnen kann? Ist da ein neues Bewusstsein vorhanden?

Ich würde mir ein neues Bewusstsein wünschen, aber die Realität schaut einfach anders aus. Mit dem Ukraine-Krieg gibt es in den Medien so viel Negatives und auch die Teuerungen, die damit einhergehen, veranlassen viele Menschen dazu, Bioprodukten wieder den Rücken zu kehren, weil sie sich diese nicht leisten können. Ich sehe das anders, meiner Ansicht nach können es sich die Menschen nicht leisten, „kranke“ Lebensmittel einzukaufen, um damit krank zu werden. Das, was wir essen, versorgt unseren Körper. Wenn wir eine Veränderung wollen, dann muss die Politik hergehen und jene Lebensmittel, die uns und unseren Planeten zerstören, höher – und jene, die gut für uns sind, niedriger – besteuern. Das würde mit Sicherheit funktionieren. Man kann nicht nur den Konzernen die Schuld in die Schuhe schieben, da ist vor allem auch die Politik gefordert.  

Sie gelten als Pionier der vegetarischen Sterneküche, plädieren für nachhaltigen Genuss, faire Produktionsbedingungen und biologische Lebensmittel. Waren Sie schon immer so eingestellt? 

Nein, ich bin eigentlich sehr spät draufgekommen, dass diese Haltung durch das Beobachten der Werte meiner Großeltern und Eltern tief in meinem Inneren verwurzelt ist. Es gab eine Zeit, in der ich als Koch komplett anders abgebogen bin, daher weiß ich auch, wie ein Einkauf funktioniert, bei dem man stundenlang feilscht und das billigere Produkt anstelle von Qualität einkauft. Ich habe jahrelang Tonnen an Fleisch eingekauft, das mit Antibiotika und Hormonen verseucht war. Ich habe Tausende Kilos an Garnelen und Lachs eingekauft, die mehr in Chemie als in Wasser geschwommen sind, und natürlich habe ich auch sehr viel Obst und Gemüse eingekauft, das aus kommerziellem intensivem Landbau kam. Ich war ein Teil des zerstörerischen Elements unseres Planeten. 


Essen bringt Menschen zusammen! Unter diesem Motto kommen im TIAN Bistro am Spittelberg in Wien beim „Sharing Chef‘s Garden“  mehrere vegane und vegetarische Gerichte zum Teilen und Genießen in die Tischmitte. © Ingo Pertramer / Brandstätter Verlag

Was hat schließlich zu einer Veränderung geführt?

Ich wurde Gott sei Dank schwer krank und musste mein Leben reflektieren und verändern. Dabei stellte ich fest, dass meine Aufgabe als Koch und Gastronom sehr sinnstiftend sein kann, und dass wir über den Geschmack die Menschen darauf aufmerksam machen können, worum es geht. Ich höre immer das Argument, es ist alles so teuer, aber das stimmt nicht. Als Beweis servieren wir als Teil der Menüs unserer „Seinerzeit“ eine Sto- bzw. Rahmsuppe mit Brot. Das ist eine reine Resteverwertung von sauer gewordener Milch. Diese hat man früher nicht weggeworfen, sondern mit Erdäpfeln, Butter und ein bisschen Kümmel aufgekocht. Milch war damals ein richtig gutes Lebensmittel, jetzt tue ich mir beim Großteil von Milch hart, sie als Lebensmittel zu bezeichnen. 

Warum?

Viele Kühe werden unter widrigsten Umständen gehalten, haben entzündete Euter, bekommen Antibiotika und Hormone – das ist kein Lebensmittel, das ist pures Gift. Alles, was ein Tier zu sich nimmt, kommt auch wieder raus. Dasselbe gilt für Brot. Heute glauben viele Menschen, dass sie an Zöliakie leiden. Davon ist meiner Meinung nach nur eine ganz geringe Gruppe betroffen. Glutenunverträglichkeit resultiert vielfach daher, dass man Brot zu sich nimmt, das nur eine Stunde Rastzeit hatte. Enzyme müssen aber 24 bis 48 Stunden rasten, um Giftstoffe abzubauen, dadurch wird das Brot bekömmlich und leicht verdaulich. Dort müssen wir wieder hin, und ein Brot, das einen gewissen Preiswert hat, sprich wenn ein Laib sechs oder sieben Euro kostet, wirft man auch nicht so einfach weg, sondern macht Brösel oder Knödelbrot daraus. Dadurch spart man am Ende des Tages Geld. 

Sie selber sind kein Vegetarier, oder?

Nein. Früher habe ich mindestens 120 Kilo Fleisch im Jahr gegessen, heute maximal vier bis acht Kilo. Ich habe meinen Fleischkonsum auf jenes Maß reduziert, bei dem es mir gut geht und das ich vertreten kann. Man darf nicht vergessen, dass mehr als 90 Prozent des gesamten Fleischbestandes aus der Massentierhaltung kommen. 

Viele Betriebe in der Gastronomie klagen aufgrund von Personalmangel. Sind die Tian Restaurants und Bis-tros auch davon betroffen?

Wir haben aktuell 48 Mitarbeiter, viele davon sind schon sehr lange im Unternehmen. Aber natürlich suchen wir laufend Mitarbeiter, weil wir wachsen wollen. Im ersten halben Jahr hören viele Mitarbeiter wieder auf, weil wir sehr viel fordern. Aber wir wollen verschiedene Werte gelebt haben, vor allem, wie man miteinander und mit Lebensmitteln umgeht. Jeden Tag auf den Punkt da zu sein und für den Gast da zu sein, ist nicht jedermanns Sache, aber viele junge Menschen, die bei uns zu arbeiten beginnen, fügen sich super ein. Wir suchen nicht nach Personal, sondern nach Mitarbeitern. 

Apropos wachsen, inwieweit wollen Sie expandieren? Wird es vielleicht auch in Linz einmal ein Tian Bistro geben?

Vorstellbar ist alles, aber wir wollen organisch wachsen. Dazu braucht man vor allem gute Mitarbeiter, denen man das zu- und anvertrauen kann. Aus Erfahrung weiß ich, dass man unsere Philosophie und Arbeitsweise erst nach zwei bis drei Jahren richtig versteht und diese Zeit will ich uns geben. Ich möchte jedenfalls nicht, dass TIAN eine One-Man-Show ist. 

Ich sehe das, was wir tun, nicht als Trend – ich halte es für eine Notwendigkeit.

Paul Ivic

Auf der Homepage tian-zuhause.com bieten Sie Produkte wie Sugo, Kichererbsenragout oder Trüffelrahmsauce in Gläsern zum Bestellen an. Wird man Tian-Produkte künftig auch bei SPAR kaufen können?

Es wird sicher das eine oder andere Produkt geben, diesbezüglich sind wir gerade im Austausch. Dabei geht es uns auch stark um Lebensmittelverschwendung und zwar darum, was wir in Sachen „Second Life“ machen können. Leider sind im EU-Recht verschiedene Formen von Gemüse nicht zugelassen und landen im Müll, daher ist es unser Bestreben, herauszufinden, wie wir Produkte, die außerhalb der Norm sind, verwenden können. Übrigens sollte jedes Lebensmittel außerhalb der Norm sein.

Vegetarische Küche ist sehr trendy geworden, wie werden wir uns künftig ernähren?

Ich sehe das, was wir tun, nicht als Trend – ich halte es für eine Notwendigkeit. Theoretisch gibt es auf der Erde genug Nahrung für alle, aber ein Großteil der Ernte wandert direkt in die industrielle Landwirtschaft. Über die vergangenen Jahre hat die Nahrungsindustrie eine Richtung eingeschlagen, die nicht unbedingt die beste für uns und unsere Gesundheit ist. Man denke nur an die Pharmazeutika, die in der intensiven Massentierhaltung verwendet werden. Auf lange Sicht wird das unseren Planeten zerstören. Daher müssen wir uns langfristig betrachtet mehr Gedanken darüber machen, was wir essen und welche Lebensmittel wir kaufen.

Ihr Vater stammt ursprünglich aus Kroatien, Ihre Mama aus Tirol, wo Sie auch aufgewachsen sind. Wie beeinflusst das Ihre Küche?

Was die Speisen anbelangt, habe ich einen starken Tiroler Einfluss, die Esskultur habe ich von der väterlichen Seite, da in Kroatien das Sharing-Konzept Usus war. Die Speisen standen in der Mitte des Tisches, jeder hat zugelangt und man ist stundenlang gesessen, hat gegessen, getrunken, gelacht und auch gestritten. Essen ist mehr als Nahrungsaufnahme, es bringt Menschen zusammen. Aus meiner Perspektive müssen wir auch die Verantwortung über Ressourcen, die wir zur Verfügung haben, übernehmen. 

Verraten Sie uns noch Ihr Lieblingsgericht?

Ja, gerne, das sind die Speckknödel von meinen Eltern. 

ZUR PERSON

Paul Ivić erlernte sein Handwerk in der Spitzengastronomie in Deutschland, Österreich und der Schweiz, ehe er 2011 im TIAN in Wien Fuß fasste. Es ist ihm ein großes Anliegen, als Botschafter der bewussten Ernährung auf den Umgang mit genmanipulierten oder durch Pflanzenschutzmittel vergifteten Lebensmitteln aufmerksam zu machen. Der leidenschaftliche Koch ist ein großer Befürworter biodynamischer Landwirtschaft. Der gebürtige Tiroler ist zweifacher Vater, lebt in Wien und ist übrigens kein Vegetarier. 

Bücher:

Der Sternekoch hat bereits drei Kochbücher herausgebracht: Vegetarische Sommerküche, 2015; Vegetarische Winterküche, 2017; Restlos glücklich, 2021 – alle drei erschienen im Brandstätter Verlag.

Auszeichnungen:

1 Michelin-Stern, 1 Michelin „Grüner Stern“
und 4 Gault&Millau-Hauben (für TIAN Restaurant Wien), 3 Gault&Millau-Hauben (für TIAN Bistro am Berg), 50 Best Discovery, A la Carte 93 Punkte, Gewinner der Trophée Gourmet kreativste Küche 2013, Rolling Pin Aufsteiger des Jahres 2011, Nachhaltigkeitskonzept des Jahres 2020 vom Schlemmeratlas, Preis für Nachhaltigkeit und Innovation 2021 von Falstaff u.v.m.

Rezepte aus Paul Ivić‘ Buch „Restlos glücklich“ finden Sie im aktuellen OBERÖSTERREICHER und online zum durchblättern!

BUCHTIPP

Paul Ivić „Restlos glücklich“ – 

klimafreundlich, nachhaltig,
vegetarisch & vegan

ISBN: 978-3-7106-0418-8, Hardcover, 

Brandstätter Verlag, € 30, E-Book € 19,99 

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