Der Überflieger
Insgesamt 16 Eurofighter-Piloten gibt es in Österreich. Einer davon ist Hauptmann Patrick Wöss aus dem Bezirk Eferding. Wir haben den jungen Überflieger aus Oberösterreich zum Interview getroffen und spannende Einblicke in das Leben eines Militärpiloten bekommen. Er hat uns erzählt, wie er zu diesem Beruf kam und warum sein Rufname „Beauty“ lautet.
© Österreichisches Bundesheer
Text: Ulli Wright, Anna Pröll
Mit seinen 31 Jahren hat Patrick Wöss bereits 1.600 Stunden in der Luft und 400 Stunden in einem EurofighterKampfjet verbracht, unter anderem bei Einsätzen wie der jährlich stattfindenden Luftraumsicherungsoperation „Dädalus“, beim G7-Gipfel und bei Ministertreffen während der EU-Rats-
präsidentschaft. Mit ihren Kampfjets sind die Eurofighter-Piloten für den Schutz des österreichischen Luftraums verantwortlich. Reißt etwa der Funkkontakt zu einem Flugzeug ab oder nähert sich ein unidentifiziertes Objekt, steigen sie mit ihren Jets auf und sehen nach dem Rechten. Dabei sind sie innerhalb weniger Minuten in der Luft und nähern sich mit einer Höchstgeschwindigkeit von bis zu 2.500 km/h dem Ziel. Kein Wunder, dass das Auswahlverfahren und die achtjährige Ausbildung zum Jetpiloten knallhart sind. Nur zwei von 800 Bewerbern kommen durch. Um es wirklich ganz nach oben zu schaffen, braucht es laut Patrick Wöss vor allem Kontinuität und Durchhaltevermögen.
Interview
Patrick, was hat Sie dazu motiviert, den Beruf Eurofighter-Pilot anzusteuern?
Das war ein Kindheitstraum von mir. Als ich acht Jahre alt war, bin ich mit meinem Papa zur Leistungsschau des Bundesheeres am Heldenplatz in Wien gefahren. Dort hatte ich die Gelegenheit, mit einem Piloten zu sprechen. Als ich wieder nach Hause kam, habe ich zu meiner Mutter gesagt: „Ich werde einmal Jetpilot.“
Wie schwierig war es, sich diesen Kindheitstraum zu erfüllen?
Ich habe einfach meinen Sturschädel durchgesetzt und bin mit 14 Jahren zum Bundesheer eingerückt (lacht). Nein, Spaß beiseite, damals gab es in Wiener Neustadt noch das Militärrealgymnasium, und das habe ich absolviert. Wenn man sich qualifiziert hat, konnte man dort eine Ausbildung im Segel-, Kunst- oder Langstreckenfliegen machen – als Vorbereitung für den künftigen Militärpiloten, und so hat alles begonnen.
Derzeit gibt es in Österreich 16 Eurofighter-Piloten. Wie viele bewerben sich um diesen Job?
Es gibt rund 800 Bewerber im Jahr, nur zwei davon schaffen es zum Eurofighter-Piloten. Wir sind insgesamt 16 Eurofighter-Piloten in Österreich, einer ist in Süditalien als Fluglehrer stationiert. Die Ausfallsrate ist hoch – 1 zu 400, um genau zu sein. Da die Ausbildung mit sehr hohen Kosten und einer großen Verantwortung verbunden ist, leisten wir uns den Luxus, dass wir wirklich nur jene nehmen, bei denen wir absolut sicher sind, dass sie die Ausbildung schaffen.
Gibt es auch Frauen, die Eurofighter-Jets fliegen?
International ist es durchaus üblich, dass Frauen Kampfjets fliegen. Es gibt da keinerlei Unterschied zwischen Männern und Frauen. In Österreich gibt es derzeit keine, unsere Damen wollten bisher immer lieber einen Hubschrauber fliegen, und das hat man ihnen natürlich auch ermöglicht. Wir heißen aber jede zukünftige Pilotin herzlich willkommen.
Ist der Eurofighter das modernste Modell am Markt oder gibt es noch bessere?
In Österreich schon, aber natürlich gibt es modernere Kampfflugzeuge wie die F-35. Der Eurofighter zählt aber auf jeden Fall zu den besten westlichen Kampfjets, die es weltweit momentan gibt.
Der Jet ist so stark, dass er in 8 Sekunden nach dem Lösen der Bremsen in der Luft ist und in 22 Sekunden im Überschall.
Patrick Wöss
Wie war es, als Sie das erste Mal mit dem Eurofighter geflogen sind?
Das erste Mal im Eurofighter werde ich niemals vergessen, weil damit einfach mein Lebenstraum in Erfüllung gegangen ist. Der erste Flug dauert eineinhalb Stunden, die sich für mich wie zwei Minuten angefühlt haben. Vor allem den ersten Flug mit einem Nachbrenner wird kein Pilot je vergessen, weil der Flieger dann doppelt so viel PS hat.
Was ist ein Nachbrenner?
Unsere Triebwerke haben quasi noch eine Zusatzleistung versteckt, was 160.000 PS ergibt. Der Flieger ist so stark, dass er acht Sekunden nach dem Lösen der Bremsen in der Luft ist und in 22 Sekunden im Überschall. Das ist einfach unglaublich und macht super viel Spaß. Der Flieger ist schneller, als man denken kann (lacht).
Was ist die größte Herausforderung beim Fliegen?
Den Jet im abstrakten Environment unter Kontrolle zu halten. Wenn wir zum Beispiel wie im Film „Top Gun“ „High Aspect Crossings“ üben, wo wir andere Flugzeuge oder Geländeformationen unter einem relativ flachen Winkel überfliegen, haben wir Annäherungsgeschwindigkeiten von 1.800 km/h, und das in einem 10 x 15 Meter großen Jet. Das muss man sich einmal vorstellen. Dafür braucht es eine sorgfältige Planung und präzise Kontrolle, um Sicherheit und Abstand zu bewahren, vor allem beim Übergang von Überschall- zu Unterschallgeschwindigkeit. Da wir im Flug nicht bremsen können, hilft uns nur das Time-Space-Management. Als Pilot muss man die Zeit und seine Position taktisch nutzen und alternative Flugmanöver und Techniken anwenden, um die Geschwindigkeit zu verringern. Das schließt Kurvenflüge und präzise Flugbahnen ein, um sich am Ende des Manövers wieder direkt neben seinen Kollegen zu positionieren.
Wie bereiten Sie sich auf einen Flug vor?
Grundsätzlich haben wir alle Einsatzschritte am Simulator geübt und gehen diese, ähnlich wie Spitzensportler, mental durch. Vor allem bei neuen Einsätzen, wenn wir beispielsweise zum ersten Mal an einem grenzüberschreitenden Training mit den Schweizern teilnehmen und unser Gegner ein Schweizer F-18 Jet ist. Ich selbst gehe vor einem Flug immer eine Runde laufen. Sobald ich losrenne, bin ich mit meinem Kopf im Flugzeug und denke jeden Schritt von Anfang bis zum Ende durch: Was mache ich in der Staffel, was nehme ich mit, was mache ich in einer bestimmten Situation, welche Leistung brauche ich für das Manöver. Wenn ich mit der Laufrunde fertig bin, bin ich auch mit dem Flieger wieder gelandet.
Waren Sie schon einmal in einer kritischen Situation?
Jeder Flug ist irgendwie mit kritischen Punkten behaftet. Wenn man mit bis zu drei Flugzeugen auf engstem Raum agiert und simuliert, sich gegenseitig abzuschießen, können natürlich kritische Situationen wie Sichtbehinderungen oder mangelnde Wahrnehmung auftreten. Aber wir sind speziell dafür ausgebildet, solche Situationen taktisch zu vermeiden. Im Endeffekt ist die gesamte Fliegerei eine Managementsache, bei der man vorausdenken muss. Mein Ziel ist es, immer die Kontrolle über das Flugzeug zu behalten, anstatt in eine reaktive Position zu geraten, wo das Flugzeug mich kontrolliert.
Im Endeffekt ist die Fliegerei eine Managementsache, bei der man immer vorausdenken muss.
Patrick Wöss
Wie oft sind Sie mit dem Eurofighter im Einsatz?
Zwischen drei und sieben Mal die Woche. Scharfe Einsätze haben wir ungefähr einmal in der Woche.
Was ist ein scharfer Einsatz?
Wir Eurofighter-Piloten sind im permanenten sicherheitspolizeilichen Einsatz und nehmen das Air Policing wahr. Bei einem scharfen Einsatz werden wir alarmiert, weil sich irgendwer im österreichischen Luftraum nicht an die Gesetze oder Regeln hält. Meistens haben diese Flugzeuge bzw. -objekte keinen Funkkontakt mehr und gefährden dadurch alle anderen im Luftraum. Und somit profitiert einfach jeder, der im österreichischen Luftraum ist, von unserem Einsatz – ob Passagier, Pilot oder jeder, der am Boden unterwegs ist. Für den Ernstfall sind unsere Jets mit Raketen ausgerüstet, zum Glück sind sie bisher noch nie zum Einsatz gekommen, das wäre das Ultima Ratio. Jeder Pilot hofft natürlich, dass es nie so weit kommt.
Sind Sie also jederzeit einsatzbereit?
Ja, genau. Zwei Piloten sitzen permanent, also 365 Tage im Jahr, im Flight-Suit neben den „scharfen“ Jets. Sobald die Sirene ertönt, fängt der Techniker an, den Flieger vorzubereiten und wir Piloten sind im einstelligen Minutenbereich in der Luft.
Wie schnell ist ein Flieger am Einsatzort?
Das kommt darauf an, wie schnell ich fliege. Der Jet kann zwischen 200 und 2.500 km/h schnell werden. Wenn nötig, fliegen wir mit Überschall. Das ist ein ganz normales Feature des Eurofighters. Tatsächlich ist es schwieriger, den Jet im Unterschall zu halten, als im Überschall zu fliegen. Unser Rekord liegt von der Alarmierung bis zum Ende der „Amtshandlung“ bei circa zwölf Minuten.
Sie müssen auch körperlich und mental absolut fit sein?
Auf jeden Fall! Wir stehen teilweise unter einer enormen körperlichen Belastung, weshalb wir viele spezielle Trainings, vor allem im sensomotorischen Bereich benötigen. Tatsächlich ist aber nicht der Druck oder die Geschwindigkeit beim Fliegen das Hauptproblem, sondern die Gravitationskräfte (G-Kräfte). Der Eurofighter kann bis zu 9 G erzeugen. Auf dem Boden haben wir eine Gravitationskraft von 1 G. Wenn 9 G wirken, wiegt der Körper plötzlich neun Mal so viel wie normal – mit der Ausrüstung habe ich im Flugzeug dann etwa ein Gewicht von einer Tonne. Das Paradoxe ist, dass der limitierende Faktor im Flugzeug ich selbst bin. Das Flugzeug könnte viel mehr leisten, aber der menschliche Körper kann nicht mehr bewältigen. Der G-Kräfte-Einfluss tritt bei uns in weniger als einer Sekunde ein. Je höher die G-Kräfte, desto mehr stößt der Körper an seine Grenzen. Die großen Muskeln reagieren kaum mehr und alles, was im Körper nicht fest verankert ist – abgesehen vom Skelett –, wird nach unten gezogen. Ab ungefähr 2 G kann man die Gliedmaßen nicht mehr bewegen. Durch das HOTAS-System (Steuerknüppel) kann ich, wenn diese 9 G anliegen, alles Nötige mit meinen Fingern steuern. Das ist wie Klavierspielen. 9 G-Kräfte sind jedoch die Ausnahme und zeugen von einer kritischen Situation, einem Luftkampf beispielsweise.
Wie hoch fliegen Sie mit dem Eurofighter und Wie ist das, wenn Sie ganz oben sind?
Zu Übungszwecken bleiben wir innerhalb der Troposphäre, in der wir Menschen uns befinden. Bei Einsätzen kommt es auch vor, dass wir eine Sphärenschicht höher, in die Stratosphäre, aufsteigen. Das heißt, über uns ist nur die ISS (Internationale Raumstation). Spätestens dort ist die Höhe nur mehr eine Zahl. Da oben hat man keinerlei visuelle Referenz mehr, kein Wetter, keine Wolken, nur unendliches Blau.
Kann man unter solchen Umständen überhaupt klar denken?
Ja, das müssen wir. Aus diesem Grund haben wir die Technik und Numbers zur Verfügung, wo wir uns anschauen, wo und wie schnell der andere ist, wo und wie schnell ich bin. Man hält sich genau an diese Numbers, weil nach Gefühl fliegen kaum mehr möglich ist. Man muss seine ganze Umgebung im Blick haben.
Wie schaut Ihr typischer Arbeitsalltag aus?
Es sind immer etwa acht bis zwölf Piloten im Dienst. Dabei kann ein typischer Arbeitsalltag für uns auf zwei Arten ablaufen. Im Normflugbetrieb arbeiten wir Montag bis Freitag von 7:30 bis 16:30 Uhr. Wir schicken Flieger in zwei Wellen aus, morgens und nachmittags, um mit den Eurofighter-Jets zu trainieren. Die zweite Art ist die ständige Einsatzbereitschaft, die 365 Tage im Jahr läuft. Hier sitzen wir, salopp gesagt, neben dem Flugzeug und warten auf einen möglichen Alarm. Eine Mission umfasst zudem auch umfangreiche Briefings und Debriefings, bei denen aufgezeichnete Flugdaten analysiert werden. Unsere Fehler werden identifiziert und wir haben die Möglichkeit, daraus zu lernen. Unsere Arbeit ist abwechslungsreich und anspruchsvoll, aber nicht übermäßig stressig.
Wird das Fliegen jemals Routine oder ist jeder Flug wieder anders?
Das kommt auf den Einsatzbereich an. Aber grundsätzlich ist es irgendwann einmal so, dass man sich den Flieger wie einen Schuh umschnallt – wie eine Verlängerung vom eigenen Körper. Der Pilot und das Flugzeug werden eins.
Wie realistisch sind die „Top Gun“-Filme?
Ich war selbst beeindruckt davon, wie realistisch diese sind. Natürlich spielt Hollywood ein bisschen mit. Taktisch würde es keinen Sinn ergeben, mich einen Meter im Rückenflug über den anderen zu positionieren, das schaut einfach nur cool aus. Die Swing-Roll-Missions, die die Piloten im Film fliegen, die Luft- und Luft-Boden-Ziele angreifen, sind allerdings State of the Art eines jeden Kampfjet-Piloten.
Wie bei „Top Gun“ haben auch in der Realität alle Piloten Spitznamen. Ihrer ist „Beauty“… Wie sind Sie dazu gekommen?
Es gibt zu jedem Spitznamen eine Geschichte, die kein Pilot gerne erzählt (lacht). Selbst aussuchen darf man sich den Namen aber leider nicht. Alle aus der Gruppe können einen Vorschlag auf ein Name-Board schreiben. Durch gewisse Challenges, die man gewinnt oder verliert, werden die Namen so lange gestrichen, bis zum Schluss nur noch einer übrig bleibt. Der ist es dann. Bei mir war nur der Name „Beauty“ oben und der Chef hat gesagt, du heißt jetzt so und fertig.
Welche Hobbys haben Sie neben Ihrem Job?
Ich bin ein begeisterter Sportler und jetzt schon zwei Mal einen Marathon gelaufen. Das war zwar nicht eine meiner intelligentesten Ideen, da ich ziemlich schwer bin, aber ich habe es mir in den Kopf gesetzt und auch durchgezogen. Als Österreicher gehe ich natürlich auch gerne auf den Berg oder im Winter Skifahren.
Gibt es etwas, wovor Sie Angst haben?
Vor Spinnen! (lacht) Aber was das Fliegen angeht, nein. Da darf man auch keine Angst haben. Es stimmt tatsächlich, was Tom Cruise in „Top Gun: Maverick“ sagt: „Da oben hat man keine Zeit zu denken. Wenn man denkt, ist man tot.“ Das ist wirklich so. Dafür sind und wurden wir ausgewählt und ausgebildet.
Sie sind im Fliegerhorst Hinterstoisser in Zeltweg stationiert und wohnen in der Steiermark. Wie oft kommen Sie noch nach Oberösterreich?
Jetzt wieder vermehrt, weil es mir wichtig ist, die Beziehung mit meinen Eltern aufrechtzuerhalten. Voriges Jahr war ich selten zu Hause, da ich nebenbei studiert habe und auch ein paar Monate beruflich in Athen war.
Was würden Sie einem 8-jährigen Buben raten, der sagt, er möchte Eurofighter-Pilot werden?
Immer dranbleiben. Nichts ist unmöglich. Man muss es einfach probieren, sonst weiß man es nicht.
Sie haben als Pilot in Österreich den Zenit erreicht. Gibt es da noch etwas darüber?
Für mich nicht!