
Gleichberechtigung ist sexy!
Journalistin Heike Kleen hat für ihr Buch „ZusammenKommen“ ihre Komfortzone (aka Sofa) verlassen und sich auf eine aufregende Entdeckungsreise begeben: in den Swingerclub, in die Hände eines Dominus, zur Tantramassage und zur Frauen-Erotikparty.
© Pexels/Anastasia Shuraeva
Was bedeutet Sex wirklich – für Frauen, für Männer, für uns alle? Heike Kleen, freie Journalistin und TV-Autorin, hat für ihr Buch „ZusammenKommen“ ihre Komfortzone (aka Sofa) verlassen und sich auf eine aufregende Entdeckungsreise begeben: in den Swingerclub, in die Hände eines Dominus, zur Tantramassage und zur Frauen-Erotikparty.
Mit Mut, Scharfsinn und einem Augenzwinkern entlarvt sie die größten Missverständnisse und tief verwurzelten Glaubenssätze rund um Sex, Lust und Liebe, unter denen nicht nur Frauen, sondern auch Männer leiden. Im Kern ihres Buches steht eine versöhnliche Frage: Wie können die Geschlechter wieder zusammenkommen? Danach haben wir sie auch in unserem Interview gefragt.
Frau Kleen, Sie schreiben: Gleichberechtigung ist sexy. Warum erleben so viele Paare sie trotzdem als unsexy oder gar als Lustkiller?
Das ist wie beim Vollkornbrot: Man weiß, es ist gut für einen – aber so richtig lüstern steht keiner davor. Gleichberechtigung hat in vielen Köpfen noch immer das Image von frustrierten Frauen, die klärende Gespräche über To-Do-Listen führen wollen. Dabei ist sie genau das Gegenteil! Wir müssen aufhören, Gleichberechtigung wie eine Steuererklärung zu behandeln und anfangen, sie als Einladung zu sehen: zu echter Nähe, echtem Verstehen und, ja, echtem Sex.
Wie beeinflusst eine gleichberechtigte Beziehung konkret das sexuelle Erleben von Frauen – und auch von Männern?
Stellen Sie sich vor, die Frau könnte beim Sex einfach genießen, ohne darüber nachzudenken, ob das Licht unvorteilhaft ist oder noch drei Körbe Wäsche auf sie warten. Und er müsste nicht das Gefühl haben, ständig den souveränen Macher geben zu müssen, mit maximaler Ausdauer, Technik und unerschütterlicher Potenz – als ginge es um eine Oscar-reife Performance. Wir alle sind noch immer Gefangene einer Sozialisierung, die Frauen lehrt, begehrenswert, aber bitte nicht zu begehrlich zu sein und Männern einredet, sie müssten immer können, wollen und führen. Gleichberechtigung schafft Raum für das, was wirklich erotisch ist: sich zeigen dürfen, wie man ist. Und das ist ganz schön heiß – wenn man es zulässt.

Welche Rolle spielen alte Rollenbilder und gesellschaftliche Erwartungen in unserem heutigen Liebesleben – und wie können wir uns davon befreien?
Das Patriarchat ist wie ein schlecht sortierter Keller: Man hat schon einiges rausgeräumt, aber irgendwo liegt noch dieser verstaubte Koffer mit der Aufschrift „Männer müssen stark sein“ und „Frauen müssen schön sein“. Wir sind Kinder unserer Zeit, brav dressiert von Werbung, Elternhaus und Bravo-Love-Stories. Befreien können wir uns, indem wir anfangen, uns selbst zu entlarven. Und zwar nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit Humor und einem Schulterzucken: „Aha, erwischt – na dann mach ich’s halt anders.“
Sie sagen, dass Gleichstellung Spielräume schafft. Können Sie ein Beispiel geben, wie das in der Partnerschaft oder im Bett konkret aussieht?
Wer nicht mehr mit dem Rücken zur Wand lebt, weil einer immer den Mental Load jongliert und der andere denkt, „Ich helf doch beim Müll“, hat plötzlich die
Hände frei – für anderes. Ganz konkret kann das auch heißen: Sie kommt zuerst – und das nicht nur metaphorisch. Wenn beide wissen, wo das Wäschefach ist und wann der nächste Kinderarzttermin ansteht, ist plötzlich erstaunlich viel Raum für Lust. Beide dürfen sein, wie sie sind – müde, wild, fürsorglich, lustvoll, unsicher. Hinzu kommt: Wenn die eine nicht vom anderen finanziell abhängig ist, weil es keinen Gender Pay Gap mehr gibt und Männer genauso viel Elternzeit nehmen wie Frauen, haben beide die Freiheit, sich als Menschen zu begegnen – nicht als Versorger oder Fürsorgliche.
Wie verändert sich Erotik, wenn sich beide Partner auf Augenhöhe begegnen – auch jenseits der körperlichen Ebene?
Stellen Sie sich Erotik mal wie einen Tanz vor. Wenn einer immer führt und der andere nur mitläuft, wird’s schnell monoton. Auf Augenhöhe bedeutet: Wir improvisieren gemeinsam. Und das kann ganz schön prickelnd sein – wenn man sich traut, die Kontrolle auch mal abzugeben. Und ja, das gilt auch für Männer, die nie gelernt haben, dass Hingabe keine Schwäche ist, sondern eine erotische Superkraft.
Sie kombinieren in Ihrem Buch wissenschaftliche Erkenntnisse mit Alltagssituationen. Was war Ihnen dabei besonders wichtig?
Ich wollte zeigen, dass gesellschaftliche Prägungen nicht nur irgendwo in Studien stecken, sondern mitten in unserem Alltag: im Schlafzimmer, auf dem Spielplatz, im Meeting. Wissenschaft hilft, Muster sichtbar zu machen – aber erst im Alltag zeigt sich, wie tief sie in uns sitzen. Mir ging es darum, beides zu verbinden: den Kopf und das Bauchgefühl. Damit wir nicht nur verstehen, was schiefläuft, sondern auch warum wir es oft trotzdem mitmachen. Denn was nützt die klügste Studie, wenn sie im Alltag scheitert, weil das Kind schreit, der Partner schweigt und der innere Kritiker schon wieder am Selfie rummäkelt?
Wenn Männer Gleichberechtigung weiterhin als Geschenk für Frauen verstehen, statt als Entlastung für alle, wird es auch im Bett weiter knirschen.
Heike Kleen
Für Ihr Buch haben Sie bewusst Ihre Komfortzone verlassen. Welcher dieser Ausflüge – ob Swingerclub, Dominus oder Tantra – hat Sie am meisten überrascht?
Definitiv Tantra. Ich dachte, ich lande in einer Mischung aus Räucherstäbchen und atemloser Stille – aber dann wurde ich mit Fragen konfrontiert wie: „Kannst du dich wirklich berühren lassen, ohne etwas leisten zu müssen?“ Plötzlich war da mehr Erotik im Blickkontakt als in mancher Akrobatik-Session, die ich im Swingerclub gesehen habe. Und das alles, während mein Mann im Nebenzimmer seine eigene Tantra-Session genoss. Komfortzone weg, Erkenntnis gewonnen … und anschließend gemeinsam über Sex geredet.
Wie viel Überwindung hat es Sie gekostet, sich so offen auf diese Erfahrungen einzulassen?
Mein innerer Kontrollfreak hat oft erstmal Schnapp- atmung bekommen. Aber dann kam die Erkenntnis: Wenn ich wirklich etwas über Lust, Macht und Gleichberechtigung verstehen will, muss ich raus aus der Theorie und rein ins echte Leben. Das ist nicht immer ästhetisch – aber immer lehrreich. Ich habe gelernt, dass Scham ein schlechter Begleiter ist, wenn man neugierig sein will. Und dabei an mein Lieblingszitat von Anais Nin gedacht: „Das Leben schrumpft oder wächst im Verhältnis zum Mut“.
Sie sprechen von Missverständnissen zwischen den Geschlechtern. Was sind aus Ihrer Sicht die hartnäckigsten – und wie könnten wir sie auflösen?
Eines der hartnäckigsten Missverständnisse: Männer wollen immer – Frauen selten oder nur mit Kerzenlicht und Fußmassage. Die Realität ist viel widersprüchlicher: Viele Männer spüren enormen Druck, ständig leistungsbereit zu sein – körperlich und emotional. Frauen wiederum sollen Lust haben, aber bitte dezent, gepflegt und mit moralischem Unterbau. Weitere Klassiker: Männer sind unkompliziert, Frauen zu empfindlich. Er meint es sachlich, sie hört einen Vorwurf. Sie fragt nach Nähe, er versteht Kritik. Wie soll da echte Intimität entstehen? Auflösen lässt sich das nur, wenn wir aufhören, in Klischees zu denken – und anfangen, ehrlich zu reden. Nicht in Beziehungsratgeber-Sprache, sondern in unseren eigenen Worten. Mit Neugier, Nachsicht und Humor. Darüber hinaus sollten wir aufhören, unseren Kindern denselben Geschlechter-Quatsch beizubringen.
Der Gendergap ist heute nicht nur politisch spürbar, sondern auch im Bett. Warum wirkt sich dieser Graben so stark auf unser Liebesleben aus?
Männer mit rechtem Gedankengut, die sehnsuchtsvoll in Richtung 50er-Jahre schielen, sind unsexy – nicht nur wegen ihrer Vorstellung von Männlichkeit, sondern weil sie Gleichstellung als Bedrohung empfinden. Solange finanzielle Abhängigkeit in Beziehungen als „normal“ gilt – etwa, weil sie „für die Kinder“ zuhause bleibt – gibt es keine Augenhöhe. Und solange sie glaubt, er habe ein Recht auf Sex, weil er mehr verdient, wird Sex zur Währung, nicht zur Begegnung. Eine gerechte Gesellschaft fängt bei Steuermodellen und Kindergarten-Plätzen an – und endet unter der Bettdecke. Wenn Männer Gleichberechtigung weiterhin als Geschenk für Frauen verstehen, statt als Entlastung für alle, wird es auch im Bett weiter knirschen. Aber wenn beide sich gesehen und ernst genommen fühlen – emotional, körperlich und wirtschaftlich – kann auch der Graben zwischen den Laken verschwinden.
Wie würden Sie Ihre zentrale Frage – „Wie können die Geschlechter wieder zusammenkommen?“ – heute spontan beantworten?
Indem wir aufhören, uns als Gegner zu sehen – und anfangen, uns als neugierige Verbündete zu begreifen. Denn mal ehrlich: Wir sind doch alle ein bisschen verloren in dieser Welt voller Tinder, Care-Arbeit und toxischer Männlichkeit. Wenn wir uns gegenseitig weniger anklagen und mehr fragen würden: „Was brauchst du – und was brauche ich?“, könnten wir uns tatsächlich wieder annähern. Nicht als perfekte Wesen, sondern als Suchende mit Herz, Humor und dem Bedürfnis, geliebt zu werden.
In Ihrem Buch steckt viel Empathie für beide Seiten. Was würden Sie Frauen sagen, die glauben, sie müssten ihre Lust unterdrücken – und was Männern, die sich in ihrer Rolle verloren fühlen?
Liebes Patriarchat, du bist ein mieser Ratgeber. Frauen: Eure Lust ist kein Gefallen, den ihr jemandem tut. Sie gehört euch. Und Männer: Ihr müsst nicht immer wissen, was zu tun ist. Es reicht, wenn ihr da seid – neugierig, unsicher, offen. Wir alle tappen noch in den alten Mustern – zwischen Heiliger und Hure, zwischen Fels in der Brandung und hilflosem Softie. Aber vielleicht liegt genau darin unsere Chance: Dass wir gemeinsam neue Rollen erfinden dürfen. Und wenn wir dabei lachen können – umso besser.
Was macht für Sie persönlich eine gute, gleichberechtigte und lustvolle Beziehung aus?
Wenn beide wissen: Niemand muss sich kleiner machen, damit der andere glänzt. Wenn Care-Arbeit, Verantwortung und Anerkennung geteilt werden – nicht nur auf dem Papier. Wenn Lust kein Pflichttermin, sondern ein Möglichkeitsraum ist. Und wenn man auch mal sagen kann: „Heute nicht – aber danke, dass du fragst.“ Gleichberechtigung fängt nicht im Kopf an, sondern im Alltag. Und endet nicht an der Schlafzimmertür!
Buchtipp:
„ZusammenKommen“
von Heike Kleen,
272 Seiten, Penguin Verlag,
€ 16,94, erscheint am 11. Juni

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