Das Kind in meinem Herzen

Wenn Babys sterben, bevor sie gelebt haben, sind es Sternenkinder. Obwohl sich bereits viel gebessert hat, ist es oft noch ein Tabuthema. Engagierte Eltern, die selbst betroffen sind, wollen das ändern.

5 Min.

Foto: Shutterstock

Obwohl du das Licht nicht gesehen hast,
die Wärme der Sonne nicht gespürt hast,
meine Lippen deine Haut nie zärtlich berührten …
… hast du deine Spuren in meinem Herzen hinterlassen
und mein Leben mit deinem
Herzschlag geprägt.

S. Pfänder

Andrea Huber aus Weißkirchen ist Mama von zwei Kindern – und von vier Sternenkindern. Denn die 32-Jährige hat vier ihrer Kinder verloren. „Es ist immer in den ersten Wochen meiner Schwangerschaften passiert, als noch kaum jemand davon gewusst hat“, erzählt sie. „Dennoch war der Schmerz immer so groß, dass er sich kaum in Worte fassen lässt. Ich denke, dass das viele Frauen ähnlich erleben.“
Genau aus diesem Grund hat sich Andrea Huber entschieden, offen mit ihren Fehlgeburten umzugehen und darüber zu reden. Ihre Hoffnung und Intention: Andere betroffene Mütter sollen sehen, dass sie mit ihrer Trauer nicht alleine sind, und Sternenkinder sollen endlich kein Tabuthema mehr sein.

Wertvolle Informationen für Eltern.
Das ist auch ein Hauptanliegen der österreichweiten Onlineplattform www.mein-sternenkind.net, die von dem Grazer Paar Vera und Rainer Juriatti
gegründet wurde. Sie wissen, wie schmerzhaft es ist, sein Baby gehen lassen zu müssen. Die beiden haben das selbst fünf Mal erlebt. Auf ihrer Website bieten sie wichtige und wertvolle Informationen für betroffene Eltern und beschreiben auch, welche Rechte sie haben. Etwa, dass sie – sofern keine medizinischen Gründe dagegen sprechen – so viel Zeit mit ihrem Sternchen verbringen dürfen, wie sie brauchen, um es gehen lassen zu können. Sie dürfen es halten, baden, anziehen und Erinnerungsfotos machen. „Wir durften unseren Sohn Pablo nur wenige Minuten sehen“, erinnert sich Vera Juriatti, die Diplomkrankenschwester und Trauerbegleiterin ist. „Das war in den 90er-Jahren und seit damals hat sich glücklicherweise viel getan. Allerdings muss ich bis heute daran denken, dass ich ihn nie wieder sehen durfte und konnte.“ Heute weiß sie, dass sie am nächsten Morgen darauf hätte bestehen können, weil es ihr Recht gewesen wäre. „Man kann sich nur von jemandem verabschieden, den man kennengelernt hat“, betont Juriatti. „Und ich habe noch nie eine Mutter getroffen, die bereut hat, ihr Sternenkind gesehen und gehalten zu haben. Im Gegenteil: Es sind die wertvollsten Momente in unserem Leben, weil sie einmalig sind.“

Heimkommen ohne Baby. Besonders wichtig ist auch jene Zeit nach dem Krankenhausaufenthalt. Wenn Eltern ohne Baby heimkommen und oftmals nicht wissen, wie sie mit ihrer immensen Trauer umgehen sollen. Wenn ihnen bewusst wird, dass sich alles verändert hat. Sternenkind-Eltern bleiben einsam. Es gibt keine Geschichten, die sie mit ihrem Umfeld teilen können. Niemand konnte ihr Baby kennenlernen. Einfühlsame psychologische Begleitung kann in diesem Fall hilfreich sein, das Erlebte zu verarbeiten. Auf der Onlineplattform gibt es deshalb Ansprechpartner in ganz Österreich. In Oberösterreich zählt Andrea Huber mittlerweile auch dazu. Als psychologische Beraterin und selbst betroffene Sternenkind-Mama möchte sie andere Eltern auf deren Weg unterstützen. Sie weiß, dass zu der Trauer auch Selbstzweifel und Wut kommen können – und die Frage nach dem Warum. „Es ist wichtig, sich diese Zeit zum Trauern zu geben und auch daheim zu bleiben und sich zu erholen“, sagt sie. „Es ist eine große Umstellung für den Körper, plötzlich nicht mehr schwanger zu sein. Das geht nicht innerhalb von ein paar Tagen.“

Wenig Verständnis in der Gesellschaft. Ihr Engagement ist umso wichtiger für sie, weil ihr selbst an verschiedenen Stellen Einfühlungsvermögen gefehlt hat und es auch in der Gesellschaft oft noch wenig bis kein Verständnis gibt. Andrea Huber: „Viele Menschen sind unsicher und wollen sich mit diesem Thema gar nicht beschäftigen. Sie kehren es lieber unter den Teppich. Doch zu verdrängen ist keine Alternative!“

Herausforderung für Beziehung. Wenn es ein Kind nicht lebend auf die Welt schafft, ist das auch für die Beziehung eine große Herausforderung. „Du musst stark für deine Frau sein!“ Diesen Satz hat Rainer Juriatti im Verlauf von acht Jahren und fünf Sternenkindern immer wieder gehört. Wie es ihm damit gegangen ist und wie er sich gefühlt hat, hat offenbar keine vordergründige Rolle gespielt. „Viele stillen Väter verlieren sich im Schatten der erdrückenden Ereignisse“, sagt Juriatti. „Sie stellen ihre eigenen Bedürfnisse automatisch zurück oder kompensieren diese durch Arbeit oder oberflächliche Vergnügungen.“
Im schlimmsten Fall zerbrechen Beziehungen sogar daran. Andrea Huber und ihren Mann Alexander haben ihre Sternchen hingegen noch mehr zusammengeschweißt. „Wir haben offen darüber geredet und diese schwierige Situation miteinander geschafft“, erzählt sie. „Es war ein heftiger Weg, doch am Ende sind wir gemeinsam daran gewachsen und heute umso dankbarer für unsere Kinder und jeden Tag, den wir zusammen haben.“

Andrea Huber ist selbst vierfache Sternenkind-Mama und unterstützt nun betroffene Eltern. (c) privat

Online-Plattform für Betroffene
www.mein-sternenkind.net ist eine österreichweite Onlineplattform für Eltern von Sternenkindern. Neben wichtigen rechtlichen Informationen sind dort – gegliedert nach Bundesländern – Angebote und Anlaufstellen zusammengefasst – von psychischer Begleitung über Gruppenangebote und Gedenkorte bis hin zu Körpertherapie, wie etwa Rückbildungsgymnastik für Sternenkindmamas oder Stillberatung, da das Thema Abstillen nach der Geburt für Sternenkind-Mütter eine große Belastung und zugleich ein wichtiger Weg für die Trauerarbeit ist. Außerdem bietet die Seite Platz für einen „stillen Moment“ mit berührenden Worten und Einträgen von Eltern, aber auch Großeltern, die ihre Kinder und Enkel nie in den Armen halten durften.

Mit mehr als 477 Adressen und wöchentlich 1.000 Zugriffen von Hilfesuchenden ist die Plattform die europaweit ausführlichste Informationshomepage.

Für die Steiermark gibt es sogar drei Sternenkind-Fotografinnen, die speziell geschult sind und ehrenamtlich Bilder von Sternenkindern und deren Eltern machen. Eine von ihnen ist Vera Juriatti, die die Plattform gemeinsam mit ihrem Mann Rainer gegründet hat. Die beiden sind selbst fünffache Sternenkind-Eltern.

Vera Juriatti hat mit ihrem
Mann Rainer die Plattform
mein-sternenkind.net gegründet. (c) Rainer Juriatti

Abo

Wählen Sie Ihr persönliches Abo aus