Wasserstoff jetzt!

Über das Potenzial von Wasserstoff

8 Min.

© Dirk Göttsche

Der Autor im Gespräch über sein neues Buch „Das Feuer des Wassers“.

Wer die Kraft des Windes und der Sonne erntet und in Form von Wasserstoff konserviert, der hält das irdische Perpetuum mobile in den Händen“, lautet eine der Kernbotschaften von Timm Kochs neuestem Buch. Das Perpetuum mobile, das Energie aus dem Nichts erschafft, der unerschöpfliche Energiequell, der ohne weitere Energiezufuhr ewig in Bewegung bleibt und dabei noch Arbeit verrichtet, ist bis heute ein nicht realisierbarer Menschheitstraum. Immerhin jedoch beflügelt die bloße Idee davon den Erfindergeist. Und dieser ist in Zeiten der Klimakrise unbedingt nötig. Denn wenn etwas realistisch dazu taugt, den Planeten zu retten, dann sind das neue Technologien. Das Potenzial des Wasserstoffs hierbei ist enorm, und die Möglichkeiten, Wasserstoff umweltfreundlich herzustellen, sind noch längst nicht ausgeschöpft. Timm Koch plädiert in seinem neuen Buch für einen fundamentalen Wandel in Richtung Wasserstoffgesellschaft. Im Gespräch liest der Autor, der sich seit Dezember letzten Jahres in Mittel- und Südamerika befindet und dort an seinem nächsten Projekt arbeitet, Politik und Lobbyismus die Leviten.

Herr Koch, mit grünem Wasserstoff lässt (oder ließe) sich der Verkehr sauber machen, Stahl schmelzen, klimaneutraler Kunstdünger herstellen, lassen sich Gebäude heizen und vor allem: Mit ihm könnte man in Sachen Energie unabhängig werden von Staaten wie Russland oder Katar. Industrie und Politik interessieren sich immer mehr dafür. Wird hier genug getan?

Nein. Hier ist noch ordentlich Luft nach oben. Mobilität bewegt uns im wahrsten Sinne des Wortes. Deswegen blicken die allermeisten Menschen beim Thema Dekarbonisierung erst einmal auf sie. Entsprechend wichtig ist dieses Feld, obwohl durch industrielle Prozesse und Heizen wesentlich mehr Kohlenwasserstoffe zum Einsatz kommen. Man muss sich einmal auf der Zunge zergehen lassen, dass der Autogigant VW, der übrigens zu 17 Prozent  dem aggressiven Öl- und Gasgebilde Katar gehört, nach seiner scheinheiligen Festlegung auf Batterieautos, ein allgemeines „Ende der Technologieoffenheit” einforderte – wohl wissend, dass es nie im Leben zu einer Umstellung der globalen Autoflotte auf Batterietechnik kommen wird, weil der Planet Erde mit höchster Wahrscheinlichkeit gar nicht ausreichend Rohstoffe für diesen Wahnsinn zur Verfügung stellen kann. Auf der anderen Seite erwirbt VW unter größter Geheimhaltung das Patent für eine hochmoderne Brennstoffzelle, die statt mit Platin oder Kunststoff auf Keramikbasis funktioniert, lässt diese in einer Schublade verschwinden, um kurz darauf zu verkünden, dass das Ende des Verbrenners wohl noch eine Weile auf sich warten lassen dürfte und man ja irgendwas mit E-Fuels anfangen sollte. Man könnte lachen bei all diesen Verrenkungen, wäre es nicht so traurig. Hier wäre ein deutliches Machtwort seitens der Politik angebracht.

Beim Wasserstoff scheint es sich um kein lukratives Geschäftsmodell zu handeln. Wasserstoff ist günstig in der Produktion, Sie schreiben von einem Euro pro Kilo Wasserstoff – mit einem Kilo H2 könnte ein schwerer Geländewagen 100 Kilometer fahren (ich verwende den Konjunktiv, weil die Brennstoffzellen-Technik noch nicht genügend ausgereift ist). Das lässt einen schon den Verdacht hegen, dass es ökonomische Gründe dafür geben könnte, dass Fortschritte in der Wasserstofftechnologie und die Umsetzung derer eher gebremst wird. Eine Verschwörungstheorie?

Der Toyota Mirai mit einem 134-kW-Elektromotor schafft die 100 Kilometer bereits mit einem Kilo H2 – beim heutigen Stand der Technik, die wirklich noch in den Kinderschuhen steckt. Sportlicher sind da die Ambitionen, eben dieses Kilogramm für lediglich einen Euro herstellen zu können, wie Indien dies vor Kurzem verkündet hat. Die ewigen Energien, die uns Wind, Sonne und Strömungen bieten, sind ebenso unbegrenzt vorhanden wie Wasser. Wir halten mit grünem Wasserstoff das Perpetuum mobile in den Händen, den alten Menschheitstraum. Kein Wunder, dass angesichts einer solchen Entwicklung die äußerst mächtigen Energieschurken, die heute noch das Heft in der Hand halten, nervös werden. Eine Blockadehaltung ist da die natürliche Konsequenz und ganz sicher keine Verschwörungstheorie.

Grüner Wasserstoff hat das Zeug dazu, uns in zivilisatorischer Hinsicht auf eine ganz neue Stufe der Evolution zu stellen.

Sie schreiben, das Elektroauto, das beim Kauf zwar stark gefördert wird, sei kein „Klimaretter“, sondern eine „Fahrt in die Sackgasse“ …

Nebenbei bemerkt, auch die modernen Wasserstoffautos, die nicht mit einem Wasserstoffverbrenner (der übrigens auch seine Vorteile zu bieten hat), sondern mit einer Brennstoffzelle betrieben werden, sind Elektroautos. Denn die Zelle treibt ja letztendlich einen E-Motor an. Wenn Sie mich fragen, sind diese Batteriedinger ganz klar eine Wasserstoffverzögerungsstrategie. Am Ende wird sich ganz sicher die überlegene Technik durchsetzen. Mit den Batterien verlieren wir wertvolle Zeit. Aber so ist das nun einmal in einem politischen System, in dem sich Korruption hinter dem Euphemismus der „Lobby-
arbeit” verstecken kann. Umso wichtiger ist Aufklärung, damit sich durch eine demokratische Willensbildung die Dinge beschleunigen lassen können.

Die Energiewende wird sich kaum ohne Speicher für Wind- und Solarstrom umsetzen lassen. Hier liegt die größte Stärke des Wasserstoffs. Mit H2 kann der Nachteil erneuerbarer Energien, die Jahreszeiten- und Wetterabhängigkeit, umgangen werden. Denn Wind- und Photovoltaikstrom kann in Form von Wasserstoff gespeichert werden, das heißt, der erneuerbare Strom wird zur Erzeugung von Wasserstoff genutzt, der später wieder in Energie umgewandelt werden kann. Fehlt hier der politische Wille zur Lösung?

Der politische Wille fehlt sicherlich ganz gewaltig, auch wenn hier langsam Bewegung zu erkennen ist. Würde mit demselben Elan, mit dem jetzt an deutschen Küsten diese Flüssiggasterminals aus dem Schlick des ökologisch einzigartigen Wattenmeers gestampft werden, die Wasserstoffwende vorangetrieben, wären wir heute schon ein gutes Stück weiter. Wirklich erstaunlich finde ich den mangelnden Enthusiasmus der europäischen Grünen, wenn es um H2 geht. Da kann man sich nur wundern. Ich hätte nie gedacht, einmal lobende Worte für die Liberalen zu finden. Aber die sind in dieser Hinsicht tatsächlich wesentlich fortschrittlicher aufgestellt. Wenn man einmal von den Querschüssen des ewig gestrigen Wolfgang Kubicki (stellvertretender Bundesvorsitzender der Freien Demokraten, FDP, und Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Anm. d. Red.) absieht, der gestern noch die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 forderte und heute nach Fracking für Deutschland schreit.

Ein nicht gerade geringfügiges Problem stellt die Tatsache dar, dass grüner Wasserstoff – und nur grüner Wasserstoff ist klimafreundlich und macht Sinn – nicht übermäßig verfügbar ist …

Grüner Wasserstoff wäre sozusagen unbegrenzt verfügbar, wenn wir uns endlich daran machen würden, ihn ernsthaft zu schöpfen. Zu dem Thema fällt mir folgende Episode ein: Bei einer Podiumsdiskussion in der Villa Lessing in Saarbrücken, zu der Jorgo Chatzimarkakis, der CEO von Hydrogen Europe (europäischer Verband der Wasserstoffindustrie, Anm. d. Red.), zugeschaltet war, berichtete Herr Chatzimarkakis von seiner Reise nach Sharm el Sheikh im Zuge der Weltklimakonferenz. Seiner Aussage nach waren die Ägypter richtig gehend sauer, weil sie mit großem Elan den Aufbau von Wasserstofffabriken betreiben, während Europa nicht mit der versprochenen Bereitstellung von Absatzmöglichkeiten nachzieht. Einen Mangel an Sonne, Wind und Wasser jedenfalls haben wir auf keinen Fall. Mehr braucht es neben der entsprechenden Technik für den grünen Wasserstoff ja eigentlich nicht.

Zur Person

Timm Koch ist studierter Philosoph, Drehbuchautor für Film und Fernsehen und Buchautor. „Das Feuer des Wassers“ ist sein fünftes Buch, das zweite zum Thema Wasserstoff. Derzeit schreibt der Deutsche an seinem nächsten Projekt, einem Roman. Eine zentrale Rolle darin wird Propaganda und ein totgesagter, bedeutender Protagonist des Naziregimes spielen, den Koch durch Zufall Mitte der 1990er-Jahre in seinem Versteck in Südamerika aufgespürt hat. Der Roman wird voraussichtlich im Frühjahr 2023 erscheinen.

Sie schreiben in Ihrem Buch: „Wasserstoff hat das Zeug dazu, die Erde zu einem friedlicheren Ort zu machen.“ Können Sie uns das kurz erklären? 

Der Kampf um die endlichen Ressourcen an fossilen Kohlenwasserstoffen und neuerdings auch der Komponenten für Batterien führt nicht selten zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Als Beispiele fallen mir da aktuell der Konflikt um das ölreiche Irakisch-Kurdistan im Norden des Irak und der Bürgerkrieg im Kongo mit Millionen Toten, bei dem es ganz maßgeblich auch um die Batterierohstoffe Coltan und Kobalt geht, ein. Wenn in Form von Wasserstoff gespeicherte Energie zukünftig praktisch universell verfügbar sein wird, entfällt der entsprechende Kriegsgrund. Natürlich ist es der menschlichen Spezies zuzumuten, dass ihr dann andere Gründe einfallen, damit wir uns gegenseitig die Köpfe einschlagen … 

Das letzte Kapitel im Buch trägt die Überschrift „Wohin geht die Reise?“. Glauben Sie, dass die Wasserstoffrevolution kommen wird, dass Wasser tatsächlich die „Kohle der Zukunft“ sein wird? Was genau wird kommen? Ein paar Zukunftsszenarien bitte.  

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir in diesen Tagen die Anfänge der Wasserstoffrevolution erleben, auch wenn diese Erkenntnis noch nicht in allen Köpfen angekommen ist. H2 ist sicherlich die Kohle, das Erdöl, das Gas und auch das Uran der Zukunft und wird uns helfen, eine Menge der derzeitigen Probleme zu lösen. Je besser wir uns in dieser Hinsicht informiert halten, desto schneller wird es gehen. Sicherlich werden wir mittel- bis langfristig etwas erleben, was ich die Energieinflation nenne. Mehr oder weniger unbegrenzter Zugang zu billigster Energie wird zu einer Selbstverständlichkeit werden. Davor sollte man aber keinesfalls Angst haben. Im Gegenteil bietet uns das in Kreislaufwirtschaft betriebene Perpetuum mobile namens „Grüner Wasserstoff “ die Aussicht auf vollkommen ungeahnte Geschäftsfelder. Das „Feuer des Wassers” hat das Zeug dazu, uns in zivilisatorischer Hinsicht auf eine ganz neue Stufe der Evolution zu stellen. Ich prophezeie fliegende Autos und die Neuentdeckung des Luftschiffes. Auch die H2-Gewinnung aus Algen ist ein Thema mit immensem Zukunftspotenzial. Der Krieg in der Ukraine zeigt uns, wie verletzlich eine Gesellschaft durch die zentralisierte Energieversorgung wird. Mit Wasserstoff kann das Gegenteil, nämlich die dezentrale, ja sogar demokratische Energieversorgung erreicht werden, was uns weniger verletzlich machen wird.  

BUCHTIPP

Timm Koch:
Das Feuer des Wassers. Wasserstoff jetzt!
Die Lösung unseres Energieproblems
,
Westend Verlag, ISBN 978-3-86489-916-4; 

€ 14

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