
Gerti Schatzdorfer: Nachfolge gestalten
Wie gelingt eine familieninterne Betriebsübergabe? Darauf gibt Unternehmerin Gerti Schatzdorfer (65) in ihrem Buch „Nachfolge gestalten“ Antworten – und macht weibliche Führung im Generationenwechsel sichtbar.
Starkes Mutter-Tochter-Team: Gerti Schatzdorfer, langjährige Chefin von Schatzdorfer Gerätebau in Zipf, hat die operative Führung an ihre Tochter Marlene (l.) übergeben und ist nur noch einmal im Monat im Unternehmen. „Wenn Marlene etwas braucht, ruft sie mich an. Nicht umgekehrt. Man muss loslassen können“, betont sie.
„Übergaben funktionieren selten reibungslos – oft gibt es jahrelange Konflikte“, sagt Gerti Schatzdorfer. Die langjährige Geschäftsführerin des Metallbearbeitungsbetriebs Schatzdorfer Gerätebau in Zipf weiß, wovon sie spricht: Als sich ihre Eltern scheiden ließen, musste sie ihren Job als Kindergartenpädagogin an den Nagel hängen und wechselte in das 1958 gegründete Familienunternehmen, das sie nun sehr erfolgreich in die nächste Generation geführt hat. Die operative Leitung hat Tochter Marlene Schatzdorfer inne, die schrittweise auch sämtliche Unternehmensanteile übernimmt.
Ihre Erfahrungen vom Übergabeprozess hat Gerti Schatzdorfer im Buch „Nachfolge gestalten – Chancen und Herausforderungen in Familienunternehmen“ verarbeitet. Darin gibt sie nicht nur praktische Tipps und Strategien, sondern auch tiefgehende Einblicke in die emotionalen Aspekte der Nachfolge und ihren persönlichen Lebensweg.
Frau Schatzdorfer, was hat Sie motiviert, das Buch „Nachfolge gestalten“ zu schreiben und sich so intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen?
Mir ist aufgefallen, dass es in vielen Familienbetrieben große Konflikte bei der Übergabe gibt. Als ich in unsere Firma einstieg, war es ähnlich: Mein Vater hatte eine klare Vorstellung, die wenig Raum für die Bedürfnisse der anderen ließ. Ich wollte das anders machen. Zudem hat es lange Zeit so ausgesehen, dass keine meiner beiden Töchter das Unternehmen übernehmen würde. Das hat mich dazu gebracht, die Übergabe neu zu denken und mich zu fragen: Was passiert, wenn niemand aus der Familie übernimmt?
Haben Sie auch daran gedacht, Ihr Unternehmen zu verkaufen?
Verkaufen war für mich nie eine Option. Mit zunehmendem Alter habe ich sicher mehr als zehn Kaufangebote aus den USA und Asien erhalten und beobachtet, dass viele heimische Unternehmen verkauft oder geschlossen werden. Ein Umstand, der mich als Unternehmerin und Bürgerin besorgt. Dabei lebt unser Land von einer starken Industrie. Wenn wir diesen Wirtschaftszweig verlieren, sind die Folgen gravierend. Das ist keine übertriebene Angst, sondern eine echte Besorgnis, und mein Buch ist meine Antwort darauf.

Was wäre passiert, wenn sich tatsächlich niemand gefunden hätte?
Dann hätte ich eine externe Nachfolge organisiert. Ich habe vier Enkelinnen – vielleicht hätte eine von ihnen später Interesse entwickelt. Für mich war immer klar: Das Unternehmen soll in der Familie bleiben. Ich denke unternehmerisch in Generationen, über mein eigenes Leben hinaus. Diese Verantwortung prägt mich.
In Ihrem Buch sprechen Sie sehr offen über Ihre Kindheit und familiäre Prägung. Wann wurde Ihnen klar, dass Sie anders leben möchten als Ihre Eltern?
Das habe ich früh gemerkt. Ich war nicht der Sohn, den sich mein Vater vielleicht gewünscht hätte – und in dieser männerdominierten Branche war das spürbar. Außerdem haben meine Eltern ihr Leben komplett der Firma untergeordnet – alles drehte sich nur um die Arbeit. Obwohl ich verstand, dass sich mein Vater in der Arbeit verwirklichte, wusste ich: So will ich nicht leben, mein Weg wird anders sein.
Viele Unternehmer holen sich einfach jemanden aus dem Bekanntenkreis –‘Der Max ist Rechtsanwalt, der schreibt uns die Verträge‘ – aber das reicht nicht.
Gerti Schatzdorfer
Sie haben ursprünglich als Kindergartenpädagogin gearbeitet. Dann kam die Scheidung Ihrer Eltern und Sie stiegen ins Familienunternehmen ein. Bei Ihrer Tochter Marlene war es die Coronakrise, die sie 2020 in die Firma führte. Braucht es einen Anstoß von außen, um große Entscheidungen zu treffen?
Manchmal schon. Krisen wirken wie Katalysatoren. Sie zwingen uns, umzudenken, Prioritäten zu hinterfragen. In Familien gibt es oft über Generationen vererbte Muster. Diese zu erkennen hilft, mit Herausforderungen besser umzugehen und mutige Entscheidungen zu treffen.
Wie war es, als Marlene endgültig sagte: „Ja, ich übernehme“?
Das war ein ganz besonderer Moment. Als Mutter kennt man seine Kinder ja ziemlich gut, und ich habe natürlich immer wieder überlegt, wer von meinen beiden Töchtern die richtigen Voraussetzungen mitbringen würde. Elisa hat ein Masterstudium in England absolviert und war von 2017 bis 2022 Prokuristin bei uns im Unternehmen. Sie ist extrem strukturiert und macht vieles großartig, hat sich aber aufgrund ihrer Lebensumstände anderweitig entschieden. Marlene wiederum bringt unternehmerisches Denken mit: Sie ist gelernte Bürokauffrau, war 20 Jahre selbstständig in der Unterhaltungsbranche, ist belastbar und ehrgeizig. Sie ist ein 100-Prozent-Typ, strebt immer nach dem Besten und bringt Energie und Visionen mit. Was sie zusätzlich auszeichnet, ist ihr ansteckender Optimismus. Das spüren auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Was raten Sie Familienunternehmen für die Übergabe?
Offenheit und Klarheit sind entscheidend. Die Rollen müssen klar übergeben werden – die Mitarbeiter müssen wissen, wer das Sagen hat, sonst entsteht eine verwaschene Führung. Vor allem braucht es offene Gespräche – nicht nur über Zahlen, sondern über Ängste und Zweifel. Was, wenn ich scheitere? Oder es besser mache als der Vorgänger? Als „die Neue“ wird man ganz genau beobachtet. Der Druck ist enorm. Als Übernehmerin trägt man eine ganz andere Verantwortung als in einer fremden Firma. Man kann nicht einfach kündigen – man lebt das Unternehmen mit Herz.
Wie lange hat der Übergabeprozess bei Ihnen gedauert?
Ab dem Moment, als Marlene „Ja“ sagte, hat sich alles in Bewegung gesetzt. Wir haben uns externe Unterstützung geholt – durch die Unternehmensrechtsexpertin Dr. Susanne Kalss. Die Zusammenarbeit dauerte rund eineinhalb Jahre und war sehr intensiv. Ich kann eine professionelle Begleitung nur empfehlen. Viele Unternehmer holen sich einfach jemanden aus dem Bekanntenkreis – „Der Max ist Rechtsanwalt, der schreibt uns die Verträge“ – aber das reicht nicht. Der Vertrag ist am Ende nur das Ergebnis eines tiefgreifenden Prozesses, der davor stattfinden muss.
Worum ging es in diesem Prozess konkret?
Nicht nur um Organisatorisches. Es ging ums Durchdenken, Infragestellen, Nachfühlen. Wir haben zum Beispiel eine Familiencharta erarbeitet: Was wollen wir? Nicht nur jetzt – sondern in fünf, zehn oder zwanzig Jahren. Wohin soll sich das Unternehmen entwickeln? Wenn man
eginnt, in diesen Dimensionen zu denken, wird einem erst bewusst, wie komplex eine Übergabe ist.
Wie verhindert man Streit, wenn mehrere Kinder da sind, aber nur eines das Unternehmen übernimmt?
Das beginnt lange vor der eigentlichen Übergabe – mit der Haltung, wie man in der Familie miteinander umgeht. Jede Familie ist anders, jedes Unternehmen auch. Ich kenne Fälle, in denen mehrere Geschwister erfolgreich gemeinsam führen. Was ich aber beobachte, ist, dass es eine Person braucht, die die Führungsverantwortung trägt. Wichtig ist auch, die Talente und Wünsche der Kinder ernst zu nehmen. Früher hat einfach der oder die Erstgeborene übernommen – unabhängig vom Interesse. Das hat sich glücklicherweise geändert.
Wie verhindert man Streit, wenn mehrere Kinder da sind, aber nur eines das Unternehmen übernimmt?
Das beginnt lange vor der eigentlichen Übergabe – mit der Haltung, wie man in der Familie miteinander umgeht. Jede Familie ist anders, jedes Unternehmen auch. Ich kenne Fälle, in denen mehrere Geschwister erfolgreich gemeinsam führen. Was ich aber beobachte, ist, dass es eine Person braucht, die die Führungsverantwortung trägt. Wichtig ist auch, die Talente und Wünsche der Kinder ernst zu nehmen. Früher hat einfach der oder die Erstgeborene übernommen – unabhängig vom Interesse. Das hat sich glücklicherweise geändert.
Früher hat einfach der oder die Erstgeborene übernommen – unabhängig vom Interesse. Das hat sich glücklicherweise geändert.
Gerti Schatzdorfer
Wie haben Sie es in Ihrer Familie geregelt?
Bei uns war von Anfang an klar: Niemand bekommt das Unternehmen „einfach so“. Es geht darum, wer bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Es darf keine Interessenkonflikte geben – etwa, wenn jemand Anteile hält, aber nicht mitarbeitet. Wir wollten eine Lösung, bei der sich alle gesehen fühlen und trotzdem Klarheit herrscht. Elisa ist heute Mitglied im Familien- und Strategiebeirat, Mutter von zwei kleinen Kindern und arbeitet als selbstständige Unternehmensberaterin – das passt bestens.
Warum sind Übergaben in Familienunternehmen so herausfordernd?
Weil so viele Emotionen dranhängen. Es geht nicht nur um die Unternehmensleitung, sondern um das ganze Gefüge: Eltern, Kinder, Schwägerinnen, Großeltern. Und oft brechen in der Übergabephase alte, ungelöste Konflikte auf. Dinge, die lange nicht angesprochen wurden, kommen plötzlich auf den Tisch. Deshalb ist es so wichtig, sich rechtzeitig mit diesen Themen auseinanderzusetze und ehrlich miteinander zu reden. Darum bin ich überzeugt – Übergaben werden in Zukunft nicht leichter. Aber sie können gut gelingen, wenn man sich Zeit nimmt, ehrlich hinschaut und offen kommuniziert.
BUCHTIPP:
Gerti Schatzdorfer
facultas 2025, ca. 150 Seiten,
ISBN 978-3-7089-2620-9 , UVP 24 Euro

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