Wie feministisch ist Sex? Eine Frau wird verschwommen ohne Kleidung dargestellt, leicht umhüllt von einer roten Bluse.

Gleichstellung im Bett? Warum Sex feministisch ist

Feingefühlt

6 Min.

© Pexels/ Kassia Melox

Feministischer Sex stellt Gleichwertigkeit und Konsens in den Mittelpunkt – und hinterfragt alte Rollenbilder sowie gesellschaftliche Normen. Warum Kommunikation, Verantwortung und Selbstbestimmung dabei der Schlüssel sind.

Die Glasbürotür fällt zu, vier Frauen machen gemeinsam Mittagspause. Das Thema: Sex. „Ich liebe die Missionarsstellung, aber ich fühle mich dabei so unfeministisch“, sagt eine Kollegin. Wie kann eine Stellung oder Praktik unfeministisch sein, wenn sie doch allen Teilnehmenden Spaß macht? Und was bedeutet feministischer Sex eigentlich wirklich? Wir wollten diese Frage von Fachleuten auf diesem Gebiet beantworten lassen.

Wie hängen Sex und Feminismus zusammen?

„Feminismus zeigt sich vielmehr im respektvollen Umgang miteinander, nicht in der Wahl einer bestimmten Stellung oder Praxis“, weiß die Bloggerin und Autorin Cleo Libro. Entscheidend sei dabei, dass alle Beteiligten beim Sex einvernehmlich handeln und Verantwortung übernehmen, sagt sie. „Es geht nicht darum, bestimmte Praktiken zu bewerten, sondern einen Raum zu schaffen, in dem die Menschen frei und selbstbestimmt entscheiden können, was sie möchten.“

In ihrem Buch „Gleichstellung. Sex zwischen Wunsch und Wirklichkeit“ macht die Wahl-Berlinerin deutlich, dass unser Sexleben politisch ist: „Wir können auch bei privaten Angelegenheiten wie Dating oder Sex politische Strukturen und Einstellungen nicht ausklammern.“ Ein offenes Gespräch sei ein wichtiger erster Schritt, um sich auf Augenhöhe zu begegnen: „Sexualität ist Teamwork. Dieses Miteinander kann als etwas betrachtet werden, das man kommunizieren und aushandeln kann.“

Feministische Sexualität akzeptiert und wertschätzt Körper in ihrer Vielfalt.

Cleo Libri

„Das ist aber unromantisch“ – könnten viele denken. Diese Verhandlungen sind allerdings wichtig. Bei feministischem Sex geht es nämlich um Konsens, Verantwortung für Verhütung, die kritische Betrachtung von Geschlechterrollen und letztendlich auch um die Frage nach dem Orgasmus. „Statistisch gesehen kommen Männer beim Sex häufiger zum Höhepunkt als Frauen“, weiß die Sexologin Magdalena Zidi. In homosexuellen Beziehungen erleben Frauen deutlich häufiger Orgasmen.

Cleo Libro erzählt in ihrem Buch von ihren sexuellen Erfahrungen in mehr oder weniger verbindlichen Beziehungen und berichtet auch über One-Night-Stands. „Ich beschreibe etwa eine Situation, in der ich mit einem Mann schlafe, aber nicht richtig feucht werde. Es wird ein Drama, und ich mache mir Vorwürfe, dass mein Körper nicht so reagiert hat, wie ich es mir gewünscht hätte. Das hat mich zum Nachdenken gebracht: Muss das so sein? Kann es nicht auch anders laufen?“

Als sie zu einem anderen Zeitpunkt Sex mit einer Frau hatte, erlebt sie die Situation ganz anders: „Wir beide kannten diese Unsicherheiten und konnten offen darüber sprechen. Wir sind es dann langsamer angegangen, und ich verspürte überhaupt keinen Druck“, erzählt die Autorin.

Sex in patriarchalen Strukturen zeichne sich auch durch die einseitige Definition aus, erklärt Magdalena Zidi: „Sexualität wird oft auf Penetration reduziert, während andere Formen der Intimität weniger Beachtung finden.“

Feministische Sexualität bringt Vorteile für alle Geschlechter.

Magdalena Zidi

Rollenbilder und Promiskuität spielen eine Rolle

Bis es überhaupt zum Sex kommt, steht zu Beginn erstmal der Flirt. Und auch dabei treten die gesellschaftlich geprägten Rollenzuweisungen bereits zutage: „Männer werden oft als aktive Verführer gesehen, während Frauen die Rolle der passiven Empfängerin zugeschrieben wird“, erklärt die Sexologin. Die realistische Darstellung von weiblicher Sexualität fehle auch in den Medien – letztendlich auch in der Pornografie.

Auch häufig wechselnde Partner:innen werden bei Frauen nach wie vor stigmatisiert: „Bei Männern wird offen ausgelebte Sexualität gesellschaftlich mehr akzeptiert“, so Zidi. Frauen werden zudem oft für ihre Sexualität beschämt, Männer hingegen gelobt. Themen wie „Slutshaming“, also die Beschämung von promiskuitiven Frauen oder weiblich gelesenen Personen, die offen mit ihrer Sexualität umgehen, macht auch Cleo Libro immer wieder zum Thema, während sie über verinnerlichte Rollenbilder reflektiert, die in ihrem Unterbewusstsein festhängen: „Ich selbst bin in den späten 1990ern und frühen 2000ern aufgewachsen und habe diese Denkweise stark internalisiert. Weibliche Sexualität wurde damals oft als ‚schlampig‘ dargestellt. Sex war mehr mit Machtgefügen und Bestätigung als mit Gleichwertigkeit verbunden“, erzählt sie.

„Es gibt Momente, in denen ich im Einklang mit meinen moralischen und politischen Überzeugungen handle. Gleichzeitig gibt es (sexuelle) Situationen, in denen ich mich von alten Mustern leiten lasse, weil es einfacher oder sicherer erscheint.“ Was es noch benötigt, um konsistent feministischen Sex haben zu können, diskutiert die Autorin in ihrem Buch.

Feministischer Sex: ein Gewinn für alle

In patriarchalen Strukturen haben auch Männer mit ihren zugewiesenen Geschlechterrollen zu kämpfen, wenn es etwa um Penislänge, Performancedruck oder Lustlosigkeit geht. Das traditionelle Bild des Mannes, der die Initiative ergreift, und der Frau, die subtil Signale sendet, verhindere eine offene Kommunikation über sexuelle Bedürfnisse, erklärt Magdalena Zidi.

„Das Narrativ, dass der Mann schon weiß, was er tut, schadet wiederum allen.“ Eine offene Kommunikation kann nur dann stattfinden, wenn Männer nicht gekränkt sind, wenn sie sexuelle Wünsche oder Bedürfnisse mitgeteilt bekommen. „Weibliche Lust wird oft weniger ernst genommen, tabuisiert oder als ‚kompliziert‘ abgestempelt, während männliche Lust als ‚natürlich‘ gilt“, erklärt Zidi.

Dabei fühlen sich Frauen in Heterobeziehungen ihren Partnern oft verpflichtet und lassen sexuelle Handlungen zu, obwohl sie Schmerzen oder Unwohlsein verspüren: „Das erlebe ich in meiner Praxis häufiger, auch weil ihnen beigebracht wurde, dass das bei Frauen nunmal so ist“, erzählt die Sexologin.

„Sie fühlen sich zudem oft unter Druck gesetzt, die sexuellen Wünsche ihrer Partner zu erfüllen.“ Das Thema Konsensabfrage dürfe bei gleichgestelltem Sex nicht fehlen, sind sich Cleo Libro und Magdalena Zidi einig. Dabei dürfen wir uns Fragen stellen wie: Basiert unser Sex auf gegenseitigem Einverständnis, Lust und Freude für beide? Frage ich wirklich konsequent nach, ob eine Handlung okay ist, bevor ich sie durchführe?

Für Cleo Libro ist das Konsensgespräch vor oder beim Sex aber nicht alles: „Ein feministischer Ansatz bedeutet für mich, Verantwortung zu übernehmen – nicht nur im Moment der Zustimmung, sondern auch danach, wenn (trotzdem) etwas schiefläuft“, erklärt sie. In puncto Verantwortung ist auch das Thema Verhütung zu nennen, das nach wie vor häufiger von Frauen übernommen wird: „Da gibt es ein klares Ungleichgewicht. Auch bei der gesundheitlichen Vorsorge, wie Tests auf sexuell übertragbare Krankheiten“, weiß die Autorin.

Was können wir also tun, um unseren Sex feministischer zu gestalten und zu leben?

Sexologin Magdalena Zidi rät:

  • Über Bedürfnisse, Fantasien und Grenzen sprechen
  • Sich in die Perspektive des Partners/ der Partnerin hineinversetzen
  • Die Vielfalt der Sexualität anerkennen
  • Tabus abbauen und einen Raum schaffen, in dem alle Bedürfnisse geäußert werden können
  • Stereotype hinterfragen

Autorin Cleo Libro ist sich ebenfalls sicher: Es geht nur mit Kommunikation, Geduld und Offenheit. „Wir sollten nicht davon ausgehen, dass die andere Person automatisch dasselbe unter ‚gutem‘ oder feministischem Sex versteht wie man selbst. Es geht um die Verantwortung füreinander und die gegenseitigen Bedürfnisse. Die Freiheit, selbstbestimmt über diese Bedürfnisse zu entscheiden, ist für mich der Kern des Feminismus.“

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