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Wenn ein Partner fremdgeht, bedeutet es nicht, dass die Beziehung schlecht oder unwiederbringlich zerstört ist – das sagt zumindest unsere Expertin Heidemarie König.
„Wir haben – nein –, wir hatten eine wunderbare Ehe. Zu Beginn. Sie wissen schon. Zuerst die große Verliebtheit, dann die Hochzeit. Dann sind die Kinder gekommen. Dann der Alltag. Aber ist das nicht normal …?“
Eine Erzählung von einer Klientin, in der sich wohl viele Menschen wiederfinden. Weil es vielleicht für sehr viele Menschen die Realität ist, dass sich der sogenannte Alltag in die Beziehung einschleicht. Partnerschaften und Ehen bedeuten auch Beziehungsarbeit. Von beiden Partnern. Manchmal verlieren Paare das ein wenig aus den Augen. Auch das darf sein, da das Leben ein Prozess ist und manchmal Dinge „wichtiger“ oder präsenter im Alltag sind als die Beziehung, „die im Großen und Ganzen ja eh total passt“.
Sich selbst und die Beziehung aus den Augen verloren. Manchmal geht die Geschichte allerdings weiter: „Wissen Sie, ich habe mich dann irgendwie ein wenig verloren, offenbar habe ich den Kontakt zu mir nicht mehr so ganz gehabt und auch die Beziehung ein wenig aus den Augen verloren. Plötzlich habe ich auf einer Party jemanden kennengelernt – und hatte auf einen Schlag das Gefühl, wieder gesehen zu werden. Ich habe mich wieder so jung, so lebendig, so begehrenswert gefühlt und ich habe die andere Person auch begehrt. Da war es wieder – dieses Spüren, dieses wohlige Kribbeln, sich sexuell zu jemandem hingezogen zu fühlen.“
Nicht immer stürzen sich Menschen in eine Affäre, weil sie in der eigenen Partnerschaft kreuzunglücklich und unzufrieden sind. Es kann auch sein, dass auf der körperlichen und emotionalen Ebene gerade wenig Spürfähigkeit vorhanden ist.
Heidi König
Es ist nachvollziehbar, dass das einerseits ein sehr berauschendes, aber auch ein sehr belastendes und irritierendes Gefühl sein kann. Der erste Impuls ist dann oft, dass die Beziehung unwiederbringlich kaputt ist, ansonsten würde man sich doch nicht sexuell zu einem anderen Menschen hingezogen fühlen. Aus dem sexologischen Blickwinkel kann man das Ganze allerdings auch aus einer anderen Perspektive betrachten. Eine Beziehung ist nicht automatisch schlecht, wenn gerade die berühmte „Flaute im Bett“ herrscht. Zu einer guten und tragfähigen Beziehung gehören weitaus mehr Dinge als „nur“ guter Sex.
Ursachen für fehlende Lust. Natürlich ist eine funktionierende Sexualität meist nicht nachteilig in der Partnerschaft, aber die fehlende Lust hat nicht immer in erster Linie und ausschließlich etwas mit der Beziehung oder dem Gegenüber zu tun. Sehr häufig hat es auch damit zu tun, dass die Person sich in letzter Zeit selbst ein wenig vernachlässigt hat. Stress im Job, in der Familie oder in der Doppelbelastung von Familie und Job sind nicht förderlich und hilfreich, sich in seinem Körper gut zu spüren und wahrzunehmen. Die eigene Körperlichkeit spielt aber in der Begegnung mit anderen Menschen eine wesentliche Rolle. Es kommt nicht von ungefähr, dass Menschen Dinge mögen, die aufregend sind. Dinge, die sie über den „Umweg“ der Emotion ins Spüren bringen.
Umweg über emotionale Aufladung. So kann es auch in der Sexualität sein. Wenn es wenig Wahrnehmung der eigenen Genitalität, des eigenen Erregungsgefühls gibt, dann wird manchmal der Umweg über die emotionale Aufladung genommen. Es werden aufregende Settings inszeniert, um sich in der Lust zu spüren. Zufällig wird dann im Schlafzimmer der Vorhang nicht zugezogen oder das Schäferstündchen im Wald wird dem Bett vorgezogen, Sex mit einer Affäre, ein Rollenspiel – all diese Dinge bedienen die Emotionalität, die dann wiederum das körperliche Spüren mit in höhere orgastische Sphären ziehen kann.
Also nicht immer stürzen sich Menschen in eine Affäre, weil sie in der eigenen Beziehung, Partnerschaft oder Ehe kreuzunglücklich und unzufrieden sind. Es kann eben auch damit zusammenhängen, dass auf einer körperlichen und emotionalen Ebene gerade wenig Spürfähigkeit vorhanden ist, während die Beziehungsqualität eigentlich als gut beschrieben wird. Und die emotionale Aufladung, die Aufregung, die eine Affäre mit sich bringt, das fehlende körperliche und emotionale Spüren ein Stück weit zu kompensieren vermag.
Zweifel des betrogenen Partners. Dieses Wissen ist vor allem für die betrogenen Partner sehr wichtig und entlastend, da viele Menschen an sich und der eigenen (sexuellen) Attraktivität zweifeln, wenn der andere sich in eine Affäre stürzt.
Wie es nun im Leben ist, gibt es leider keine Garantie. Weder dafür, dass eine Beziehung ewig hält, noch dafür, dass eine Affäre eine Beziehung unwiederbringlich zerstört. Oft kann es in solchen festgefahrenen Situationen hilfreich sein, sich eine Beratung zu gönnen, in der die Karten offen auf den Tisch gelegt und dort gemeinsam mit einer externen Person neu geordnet werden können.