Es ist 5 nach 12

Sepp Friedhuber über den Klimawandel

11 Min.

© Sepp Friedhofer

Bereits im Jahr 2003 ist Sepp Friedhuber als wissenschaftlicher Mitgestalter der ORF-Universum-Dokumentation „Beringia – Klimaalarm in der Arktis” in die Arktis gereist. Von 2004 bis 2016 war der Biologe als Expeditionsleiter auf Eisbrecherfahrten zum Nordpol, nach Nord- und Ostsibirien, Franz-Josef-Land, Spitzbergen, Grönland sowie in die Antarktis unterwegs. Durch seine Reisen und als Alpinreferent der Naturfreunde Österreich beschäftigt sich der 75-Jährige schon seit vielen Jahren mit den Auswirkungen des Klimawandels und weiß sehr genau, wovon er spricht. Ein Interview zum Nachdenken. 

Fünfmal war Sepp Friedhuber am Nordpol , viermal in der Antarktis , wo er den Klimawandel am meisten wahrgenommen hat.   © Sepp Friedhofer

Herr Professor Friedhuber, mehrere Male sind Sie auf Ihren Reisen in die Arktis und Antarktis gekommen. Wann waren Sie dort das erste Mal?

Das erste Mal bin ich im Jahr 2003 in die Arktis gekommen. Wir haben damals die ORF-Universum-Dokumentation „Beringia – Klimaalarm in der Arktis“ in Alaska, Ostsibirien und im Mississippi-Delta gedreht. Ab 2004 habe ich auf russischen Eisbrechern und anderen Expeditionsschiffen als Biologe gearbeitet. Durch meine Tätigkeit als Lektor und Expeditionsleiter auf diesen Schiffen bin ich in viele Teile der Welt gekommen, die früher fast unerreichbar waren. Ich war fünfmal am Nordpol und viermal in der Antarktis.  

Im arktischen Raum, zwischen Alaska und Sibirien, ist der Klimawandel besonders spürbar geworden. Wie stehen Sie zum Klimawandel?

Der Klimawandel findet zweifelsohne statt, es hat ihn aber immer schon gegeben. Fakt ist, dass der Mensch ein massiver Beschleuniger ist. Das größte Problem ist das weltweite Bevölkerungswachstum. Im Vorjahr lebten geschätzte acht Milliarden Menschen auf der Erde, bis 2036 prognostizieren die Vereinten Nationen neun Milliarden Menschen. Durch den Klimawandel werden viele Lebensbereiche von Menschen wegbrechen, was Flucht- und Migrationsbewegungen auslösen wird. Das ist allerdings kein neues Phänomen, denn auch die Völkerwanderung war bereits eine Klimaflucht. Warm- und Eiszeiten gab es schon immer. Zum Beispiel war die Beringstraße (Meerenge zwischen den Kontinenten Asien und Amerika, Anm. d. Red.) vor rund 30.000 Jahren noch begehbar, der Meeresspiegel lag damals bis zu 140 Meter tiefer als heute. Was den Klimawandel betrifft, sind neben der Emission von Treibhausgasen, der Ressourcenverbrauch, Verschwendungswirtschaft, die Überbevölkerung und die Eingrenzung der Lebensräume unsere größten Themen. 

Sie waren circa vierzig Mal in Nord- und Südamerika, über achtzig Mal in Afrika. Haben unter anderem beim Dreh des Filmes „Dominica – Berge im Regenwald“ mitgearbeitet und das Buch „Afrika. Berge – Wüsten – Regenwälder“ herausgebracht. Inwieweit sind Klimawandel und Regenwald miteinander verknüpft? 

Den Film „Dominica – Berge im Regenwald“ haben wir 1990 in der Karibik gedreht. Schon damals habe ich am grausamen Umgang mit dem Regenwald befürchtet, was auf uns zukommen wird. Die Regenwälder sind die größte Rücknahme- und Speichermöglichkeit für CO2 überhaupt. Da frage ich mich schon, warum man gegen Bolsonaro (von Januar 2019 bis Dezember 2022 Präsident Brasiliens, Anm. d. Red.) keine Sanktionen in Erwägung gezogen hat, als er die „Grüne Lunge der Erde“ abgeschnitten hat. Langsam gibt es durch Lula (aktueller Präsident von Brasilien, Anm. d. Red.) wieder ein Umdenken, nur inwieweit er das realisieren kann, ist eine andere Frage. Was wäre, wenn die gesamte Weltgemeinschaft die Regenwälder von den Brasilianern um „Hausnummer“ 100 bis 150 Milliarden Euro pachten und eine Abholzung verhindern würde? Das wäre ein Anfang, aber damit ist es längst nicht abgetan, denn auch die Regenwälder in Afrika, Asien, vor allem in Borneo, werden vernichtet. 

Mit Energieeffizienz hätte man sich schon vor Jahrzehnten beschäftigen müssen.

Sepp Friedhuber

Wo haben Sie die Klimaveränderungen am meisten wahrgenommen?

In der Arktis. Meine ersten Kontakte mit der Arktis hatte ich in den Jahren 2002/2003. 2004 kam ich dann durch meine Tätigkeit als wissenschaftlicher Lektor und Expeditionsleiter auf einem russischen Eisbrecher das erste Mal ins Franz-Josef-Land. Auf dieser Inselgruppe im Nördlichen Eismeer hatten wir damals Mitte Juli das erste Eis am 78. Breitengrad. Nur drei Jahre später war die Eisgrenze Mitte Juli 500 Kilometer weiter im Norden. 2004 wären wir im Franz-Josef-Land ohne Eisbrecher keinen Zentimeter weitergekommen. 2007 war zwischen den Inseln kein Eis mehr. Es schwankt, aber die Eisdecke geht kontinuierlich zurück. Als wir 2009 auf einer Forschungsstation nahe dem Nordpol Eis-
dickemessungen und Eisbohrungen durchgeführt haben, gab es kaum mehr Treibeis, das mehr als ein oder zwei Meter dick war. Im Gegensatz dazu waren es früher vier Meter. In der Arktis geht der Temperaturwandel viel schneller voran, denn je weniger Eis und je mehr Wasserflächen es gibt, desto mehr Wärme wird absorbiert. Man spricht dabei vom Albedo-Effekt, der das Verhältnis von Reflexion über die Eisflächen und Absorption durch die Wasserflächen darstellt. Darum beträgt der Temperaturanstieg dort im Durchschnitt mittlerweile vier Grad Celsius. 

Man kann also sagen, dass der Hut brennt?

Ja, das kann man. Bei der 21. Klimakonferenz in Paris einigten sich die Teilnehmerstaaten darauf, Maßnahmen zu setzen, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Dieses sogenannte „1,5-Grad-Ziel“ ist meiner Ansicht nach eine Illusion. Dazu passiert seitens der Big Player viel zu wenig. Wenn man bedenkt, dass China 80 Kohlekraftwerke wieder in Betrieb nimmt und die Amerikaner immer noch einen ökologischen Fußabdruck von 5,6 und wir von 3 haben, dann ist es bereits „5 NACH 12!“ Der Welterschöpfungstag ist Ende Juli, das heißt, dass wir bereits zwei Erden brauchen, um den Ressourcenverbrauch zu decken. Man muss alles tun, was möglich ist, nur muss es realistisch sein. Ich habe auch ein Problem mit Politikern, die irgendetwas in Aussicht stellen und keine Lösungen anbieten. Die Kritiken zur Elektromobilität häufen sich. Der Abbau von Lithium, ein Bestandteil von Batterien und Akkus, hat für die Umwelt und Bevölkerung vor Ort negative Folgen. Es gibt bei allem viele Für und Wider. Wenn man den Maßnahmen gegenüber kritisch ist, wird man sofort als Klimaleugner hingestellt und das bin ich mit Sicherheit nicht. Dazu kenne ich mich zu gut aus und habe auch zu viel gesehen – aber man muss realistisch sein. 

Mit diesem Bild hat Sepp Friedhuber
die Silbermedaille bei den „Global Arctic Awards“ gewonnen.
© Sepp Friedhuber

Was kann man Ihrer Ansicht nach machen?

Man muss in vielen Bereichen umdenken. Wir leben in Wirtschaftssystemen, die auf Wachstum aufgebaut sind. Wenn das Wachstum um ein Prozent zurückgeht, ist das schon eine Katastrophe. Das ist fatal. Bereits vor fünfzig Jahren hat der Club of Rome den Bericht „The Limits to Growth“ veröffentlicht. Eine der Kernaussagen lautete: Die natürlichen Ressourcen würden in wenigen Jahrzehnten erschöpft sein, wenn die Menschheit und die Wirtschaft weiterwüchsen wie bis dahin. Was die Energie betrifft, bin ich der Ansicht, dass vor allem der Verbrauch sinken muss. Aber Energie ist ein riesengroßes Geschäft, daher gab es auch nie Bestrebungen einzusparen, sondern man hat mit Alternativen immer nur die Zuwächse abgedeckt. Die Energiekonzerne haben enorm verdient und Teile des Budgets des Staates, der Länder und vieler Kommunen damit gesättigt. Mit der Mineralölsteuer nimmt der Finanzminister Milliarden Euro ein. Sinnvoller wäre es gewesen, auf 2-Liter-Autos zu setzen, das wollte man aber nicht, daran verdienen die Autokonzerne zu wenig. Das alles ist dem Profit geschuldet und der Wille zum Einsparen war und ist immer noch nicht vorhanden. Mit Energieeffizienz hätte man sich schon vor Jahrzehnten beschäftigen müssen.

Hier wäre also die Politik gefordert?

Dass es eine Emissionsproblematik gibt, kann man nicht leugnen, aber mir kommt vor, dass der Politik Hausverstand und Weitsicht fehlen. Wie wollen wir bis 2035 von fossilen Brennstoffen wegkommen, bei 900.000 Wohnungen, die mit Gas geheizt werden, bei 600.000, die mit Öl geheizt werden und bei ein bis zwei Millionen Autos, die mit Benzin oder Diesel fahren? Das ist alternativ nicht abzudecken, das kann nur über eine Reduktion des Verbrauchs gehen. Das ist das Eine. Das Zweite ist, dass die Alternativenergien wie Wind und Sonne ihre Grenzen haben. In der österreichweiten ZAMG-Auswertung brachte der Jänner 2023 um 30 Prozent weniger Sonnenstunden als im vieljährigen Mittel. Auch mit Windenergie lässt sich der Verbrauch nicht abdecken. Denn wenn der Wind zusammenbricht, muss man mit Schattenkraftwerken, die übrigens wieder fossil betrieben werden, dagegen fahren, damit das Netz nicht zusammenbricht. Zudem kommt man jetzt langsam auch drauf, dass die Gletscher zurückgehen und da wird es mit der Wasserkraft auch nicht lustig werden. Was die Gesamtenergie anbelangt, muss man Konzepte entwickeln, um den Verbrauch zu drosseln. Man muss bewusst mit Energie und Ressourcen umgehen. 

Diese ganzen monokausalen Ansätze der Hochpolitik, bei denen es nur um Emission geht, finde ich grundsätzlich schlecht.

Sepp Friedhuber

Seit mehr als 40 Jahren sind Sie Alpin- bzw. Naturschutzreferent der Naturfreunde Österreich und Sie haben sich auch gegen das Vorhaben einer Verbindung der Skigebiete auf der Höss in Hinterstoder und der Wurzeralm in Spital am Pyhrn eingesetzt. Was motiviert Sie dazu?

Ich engagiere mich dort, wozu ich die Kraft habe. Durch den Ausbau und die Erweiterungen des Skigebiets in der Pyhrn-Priel-Region hätte man die ganze Landschaft zerstört, wenn wir nicht dagegen aufgetreten wären. Heute noch Skigebiete zu erweitern, ist unverantwortlich und absurd. Die Schnee- und Temperaturprobleme des letzten Winters sprechen eine deutliche Sprache. Auch gegen 65 geplante Windanlagen mit 200 Metern Höhe im Voralpenland auf den Bergen sind wir aufgetreten.

Bei Eisdickemessungen und -bohrungen  am Nordpol wurde festgestellt, dass die Eisdecke kontinuierlich zurückgeht. © Sepp Friedhhuber

Sind Sie gegen Windräder?

Nein, grundsätzlich nicht. Aber wo es aus Gründen des Landschafts- und Naturschutzes sowie aus wirtschaftlichen Gründen nicht zielführend ist, darf es nicht sein. Um Rotorblätter von Windanlagen in der Länge von 65 Metern auf die Berge zu befördern, braucht man eine Sattelschlepper-taugliche Zufahrt. Außerdem braucht ein Windrad mit 200 Metern Höhe ein Fundament von mindestens 24.000 Kubikmeter Beton. Den muss man raufbringen und er ist ein CO2-Fresser par excellence. Noch dazu haben wir in Österreich eine Windausbeute von lediglich 1.500 bis 2.000 Windstunden im 

Jahr. Als Vergleich: In Norddeutschland beträgt die Windausbeute 8.000 Windstunden pro Jahr. Da frage ich Sie: Macht das einen Sinn? Aber bei vielen Projekten wird an der Errichtung viel Geld verdient. Der Windstrom hat eine unglaublich hohe Förderung und eine Lobby, die bis ins Umweltministerium geht. Wenn man in den Bergen Tirols oder Salzburgs Windparks errichtet, braucht man Zufahrtswege und man muss dort mit einer Unwetterhäufigkeit rechnen. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin nicht gegen Windkraft, aber bitte dort, wo es Sinn macht. 

Was kann man als Einzelner machen?

Als Einzelner werden wir die Welt nicht verändern können. Aber es kann jeder bewusster leben. Das Bewusstsein muss sich konzentrisch entwickeln, man muss bewusst mit Energie und Ressourcen umgehen. Und man wird die Auswirkungen des Klima-
wandels nur mit sehr vielen „Sowohl-als-Auchs“ lösen können. Diese ganzen monokausalen Ansätze der Hochpolitik, bei denen es nur um Emission geht, finde ich grundsätzlich schlecht. Zum Beispiel ist die „Wegwerfkultur“ von Lebensmitteln ein großes Übel: Circa die Hälfte der produzierten Nahrungsmittel landet auf dem Müll. Das entspricht einer Anbaufläche in der Größe Kanadas. Dagegen gibt es nur schüchterne Ansätze, aber jeder Einzelne kann hier mehr Bewusstsein und Verantwortung tragen. Auch die Kleidungsproduktion in Asien ist ein Thema unter vielen anderen.

Heute noch Skigebiete zu erweitern, ist unverantwortlich und absurd.

Sepp Friedhuber

Ihre große Leidenschaft ist die Fotografie. Mit Ihren Vorträgen brachten Sie vielen Menschen die Welt näher. 2021 wurden Sie in der Kategorie „Säugetiere“ Naturfotograf des Jahres, was einer WM-Medaille entspricht. Aktuell haben Sie zwei handliche Bildbände über Linz und über das Salzkammergut herausgebracht. Wie sind Sie zur Fotografie gekommen?

Seit meinem 14. Lebensjahr war ich bergsteigen und habe auf primitivster Ebene zu fotografieren begonnen. Bei meinen Expeditionen habe ich ganz gezielt fotografiert, um diese zu dokumentieren. Mit Vorträgen habe ich mir dann die nächsten Expeditionen finanziert. Die Fotografie ist für mich eine Faszination, weil man sich mit Dingen viel näher beschäftigt. Mit zunehmendem Alter war die Fotografie für mich eine zweite Ebene, um kreativ und gefordert zu sein. 

Sie waren so viel auf der Welt unterwegs, stand es nie zur Debatte, woanders hinzugehen?

Nein, ich habe meine Wurzeln hier in Oberösterreich und bin ein sozialer Mensch, der Wert darauflegt, viele Freunde und Bekannte zu haben. Ich habe auf meinen Reisen viel erlebt und habe nirgends den besseren oder schlechteren Menschen gefunden. Gangster gibt es überall, gute Menschen gibt es überall. Durch das Reisen blickt man über seinen Tellerrand hinaus. Wenn Experten, die in der Klimaforschung tätig sind, nicht gesehen haben, was auf der Welt los ist, dann sind sie in einer Künette. Die meisten politischen Entscheidungsträger kennen andere Länder nur vom roten Teppich aus und waren noch nie in einem afrikanischen Slum. Sieht man auf der anderen Seite die Skyline von Dubai, dann weiß man, wie unendlich weit die Schere auf dieser Welt auseinanderklafft. Trotzdem müssen wir positiv denken und tun, was dem Einzelnen möglich ist – im Sinne einer besseren Welt!  

© Sepp Friedhuber

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